Schichtarbeit hemmt Entscheidungsfähigkeit im Ehrenamt
Gemeinsame Sitzung von Kreis- und Stadt-Ausländerbeirat – Gäste informierten aus verschiedenen Blickwinkeln
Gießen/Lollar (hin). Sich für behinderte Migranten einzusetzen, das ist eines der Ziele von Dr. Mustapha Ouertani, einem Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Hessen (AGAG), der in dieser Woche zu Gast war in einer gemeinsamen Sitzung des Kreis-Ausländerbeirats und des Ausländerbeirats der Stadt Lollar im dortigen Bürgerhaus. Auch andere Gäste berichteten an diesem Abend über ihre Arbeit. Ulrike Foraci (AGAH) informierte über Mitwirkungsmöglichkeiten bei Landesausländerbeirat, Dr. Klaus-Jürgen Rupp von der ZAUG gGmbH stellte das Netzwerk Nachqualifizierung Gießen-Lahn-Dill vor und Bettina Metz-Rolshausen (Lollar) berichtete über das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“.
Mustapha Ouertani lebt seit 1962 in Deutschland. Der gebürtige Tunesier ist neues Mitglied im Vorstand des Landesausländerbeirates (AGAH). Er lud mit ansteckender Begeisterung dazu ein, sich ehrenamtlich zu engagieren und sich durch stete Weiterbildung Zusammenhänge zu erschließen. Der blinde Sozialwissenschaftler, seit zwei Jahren im Ruhestand, forderte dazu auf, sich gegenseitig zu stärken und auf die Anliegen des jeweils anderen einzugehen. Ein Hinweis auf das Zuckerfest am Ende des Ramadans beispielsweise könne dazu beitragen, eine Sitzung zu verschieben. Ouertani lud zum interreligiösen Dialog, wies aber auch darauf hin, wie innerhalb der islamischen Gemeinschaften auf Behinderte eingegangen werden könne. Viele Moscheen befänden sich im Keller oder im ersten Stock, sagte Ouertani.
Ulrike Foraci, langjährige Geschäftsführerin der AGAH, bezeichnete sich als „lebendiges Gedächtnis“ des Gremiums. Sie informierte über die verschiedenen Ebenen bei der AGAH und über bevorstehende Projekte. So solle etwa mehr Mitspracherechte von Menschen mit Migrationshintergrund in Führungspositionen der Sportvereine erzielt werden. Großes Gewicht haben Fragen zum Ausländerrecht und zur inneren Struktur der AGAH. Der Ausländerbeirat von Lollar ist, wie zu hören war, noch keine Mitglied des Landesausländerbeirats.
In der AGAH sind Menschen aus 80 Nationen versammelt. Etwa die Hälfte der Mitglieder verfügt über das kommunale Wahlrecht. Mitglied der AGAH kann werden, wer als Ausländer in Deutschland lebt, in Deutschland eingebürgert wurde oder die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt.
Das Netzwerk Nachqualifizierung ist ein gemeinsames Projekt des ZAUGg in Gießen und dessen Pendant GWAB in Wetzlar, gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Sozialfonds der Europäischen Union. Es wende sich, wie Klaus-Jürgen Rupp berichtete, mit unterschiedlichen Angeboten an erwerbslose und beschäftigte Erwachsene. Für Arbeitsuchende („Giessener Weg“) gibt es Qualifizierungsangebote als Restaurantfachmann/-frau, Koch/Köchin, Hauswirtschafter/in, Maler/in und Lackierer/in sowie Elektroanlagenmonteur/in. Beschäftigte können sich in den Bereichen Zerspanungsmechaniker/in, Maschinen- und Anlagenführer/in und Industrieelektriker/in nachqualifizieren lassen. Weitere Berufe sind in Planung. In den Landkreisen Gießen und Lahn-Dill leben rund 39 000 Menschen ohne Berufsausbildung. Etwa 10 000 von ihnen sind arbeitslos oder werden geringfügig entlohnt. Ziel der Nachqualifizierung ist eine Externenprüfung vor der zuständigen Stelle oder Kammer, Hintergrund ist die Beseitigung des Fachkräftemangels.
Die Vertreter des Lollarer Ausländerbeirats, Vorsitzender Taman Erdem und dessen Stellvertreter Turgay Güler, schilderten Anlaufschwierigkeiten in der neuen Legislaturperiode, auch bedingt durch die Schichtarbeit mehrerer Mitglieder. Das Gremium sei nicht immer beschlussfähig, hieß es.
Unterstützung für Giessener Initiative Schwarze Menschen in Deutschland
Gegenstand des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ ist die Entwicklung eines lokalen Aktionsplans, der über drei Jahre hinweg Fördermittel für Projekte bereitstellt. Bettina Metz-Roshausen lud den Ausländerbeirat dazu ein, sich an der Umsetzung zu beteiligen. Zielgruppe sind vor allem Kinder und Jugendliche. Im weiteren Verlauf der Sitzung waren zwei Anträge zu beraten. Die Regionalgruppe Gießen der Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) bat um Unterstützung einer Veranstaltungsreihe, das Deutsch-Russische Zentrum um Unterstützung eines Sprachkurses. Beide Anträge wurden einstimmig angenommen. Vor allem der Antrag des ISD fand großes Interesse.
Gießener Allgemeine Zeitung, 2. September 2011