Kreisausländerbeirat Gießen

Warum es Ausländerbeiräte geben muss

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Warum es Ausländerbeiräte geben muss

Migranten und Migrantinnen, Menschen mit Migrationshintergrund, können sich auf verschiedene Art und Weise engagieren. Sie können Vereine gründen, die zum Ziel haben die Kultur und die Sprache des Herkunftslandes zu pflegen, zu fördern. Sie können Sportvereine gründen, unterstützen, in denen Menschen gleicher Herkunft aktiv sind. Migranten und Migrantinnen engagieren sich für die Integration ihrer Landsleute, sind vielfach ehrenamtlich tätig. Die religiös orientierten Vereine sind auch von besonderer Bedeutung.

Was uns als Ausländerbeirat von allen anderen Organisationsformen unterscheidet, ist, dass wir zum Ziel haben, ein politisches Sprachrohr für Migranten und Migrantinnen zu sein.

- Wir vertreten alle, wir sind weder ethnisch, noch religiös, noch parteipolitisch orientiert.

- Wir geben einem Personenkreis, der keine oder nur eingeschränkten Zugang zur politischen Partizipation eine Stimme.

- Wir versuchen, die spezifischen Probleme, mit denen Menschen mit Migrationshintergrund konfrontiert sind, zu erfassen, zu benennen und an die Entscheidungsträger weiterzuleiten.

- Wir bemühen uns an den Entscheidungsprozessen teilzunehmen.

Einige Beispiele für Probleme, die nur von Migranten und Migrantinnen oder Personen, die ihnen sehr nahe stehen, wirklich erfasst und verstanden werden können:

- Problemkomplex Staatsangehörigkeit: Die Politik streitet für oder gegen die „doppelte Staatsangehörigkeit“ Für Personen, die nicht betroffen sind, sind es nur Worte. Für Betroffene hat es eine ganz andere Tragweite. Wenn jemand aufgefordert wird zu „seinem „ Konsulat zu gehen, um einen Nationalpass zu beantragen, klingt das einfach, ist es aber in vielen Fällen nicht. Zahlreiche Kinder von Asylbewerbern, zum Beispiel, sind bei den Konsulaten nicht registriert. Die Registrierung, zum Beispiel im türkischen Konsulat, setzt voraus, dass beide Elternteile sich dahin begeben. Wenn es überhaupt gelingt einen Pass zu erhalten, so wird er sofort wieder abgegeben. Was für Nichtbeteiligte einfach erscheint, ist ein unglaublich mühsamer Weg, auf dem man Kraft und Geld verliert. Die „Hinnahme“ der doppelten Staatsangehörigkeit ist eine Forderung, die nur Insider verstehen, es ist eine immense Erleichterung.

- Problemkomplex Sprache: Was Mehrsprachigkeit, was Erst- und Zweitsprache bedeutet, ist etwas, was Menschen erleben. Es ist wichtig, dass gerade Ausländerbeiräte sich damit befassen. Tun sie es nicht, so entscheidet die Mehrheitsgesellschaft. Wer hat nicht in der Schule die Frage gehört: „Was sprechen Sie zu Hause?“. Ist die Antwort nicht „Deutsch“, dann folgt die Schlussfolgerung, es sei kein Wunder, dass das Kind Probleme in der Schule hätte.

- Problemkomplex Diskriminierung auf Grund der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion. Auch hier sollen die Probleme erfasst und benannt werden, und das geht nur, wenn gerade die Personen, die diskriminiert werden oder sich diskriminiert fühlen, ein Sprachrohr haben.

- Zu Schulbildung und Ausbildung haben die Ausländerbeiräte viel zu sagen. Die Mehrheitsgessellschaft hat sich vielleicht an das Schulsystem gewöhnt, Migranten und Migrantinnen sehen die verschiedenen Schularten, Schulzweige, Kurssysteme, Selektionsmechanismen mit anderen Augen. Ihre Fragen, ihre Ängste, gar ihre Verzweiflung kann nur von denjenigen erfasst werden, die alles aus ihren Augen sehen.

Keine andere Organisationsform kann Ausländerbeiräte ersetzen, die ihre Schwerpunkte selbstbestimmt wählen und formulieren und in die politischen Gremien tragen.

Françoise Hönle, 30.01.2015