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Pressemitteilung des Kreisausländerbeirates zur Situation der Flüchtlinge im Landkreis Gießen
Hohe Flüchtlingszahlen
Seitdem 2013 klar wurde, dass die Flüchtlingszahlen ansteigen würden, befasste sich der Ausländerbeirat wieder intensiv mit der Aufnahme von Flüchtlingen im Landkreis Gießen.
Uns wurde gleich beim Ausbruch des Konflikts in Syrien bewusst, dass Flüchtlinge aus diesem Land in Deutschland eintreffen würden, der Flüchtlingsstrom aus Afrika, ganz besonders aus Eritrea, nicht abreißen würde, und Flüchtlinge aus Afghanistan und dem Irak sowie aus Balkanländern eintreffen würden.
Gemeinschaftsunterkünfte im Landkreis Gießen
Diese einfache Feststellung veranlasste uns dazu Ende 2012 die zu der Zeit einzige noch bestehende Gemeinschaftsunterkunft in Staufenberg-Treis zu besichtigen. Was wir damals feststellten, war alarmierend: Menschen hausten dort in einem verwahrlosten Gebäude, es herrschte eine trostlose Stimmung. Darüber berichtet wurde auf einer öffentlichen Sitzung des KABs. Anwesende
Vertreter und Vertreterinnen der zuständigen Behörden waren durchaus der Meinung, so könne es nicht weitergehen, Handlungsbedarf sei da.
Seitdem bemüht sich das Team Asyl des Landkreises verstärkt um eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge, die dem Landkreis zugewiesen werden. War 2013 nur noch eine Unterkunft da, so sind es heute 17.
Am 3. 02. 2015 hatten Mitglieder des Ausländerbeirats des Landkreises die Möglichkeit, die neueröffnete Unterkunft in Rodheim-Bieber zu besichtigen. Wir konnten feststellen, dass es sich um eine durchaus menschenwürdige Unterbringung handelt.
Wir begrüßen auch die Einrichtung von Deutschkursen sowie die Möglichkeit für Flüchtlinge Berufspraktika zu machen.
Der Kreisausländerbeirat möchte jedoch auf die nach wie vor bestehenden Defizite der Flüchtlingsbetreuung hinweisen: Der in Biebertal angetroffene Sozialarbeiter ist engagiert und scheut keine Mühe, er hat aber viel zu wenig Zeit. Offiziell sei er nur 2 Stunden in der Woche vor Ort. Wir stellen fest, dass die Immobilien besser betrieben werden als früher, dass die Sozialbetreuung jedoch nicht ausreichend ist.
Der KAB stellte mit Erfolg im Kreistag einen Antrag auf Erhöhung der Zahl der Sozialarbeiter, die in die Sammelunterkünfte gehen. Der Antrag wurde einstimmig angenommen.
Wir freuen uns über diese Entscheidung, befürchten aber, dass Sozialarbeit trotzdem nicht in ausreichendem Ausmaße erfolgen wird.
In Sammelunterkünften leben Einzelpersonen oder Familien, die aus Krisen- oder Kriegsgebieten kommen. Viele sind traumatisiert,. Zahlreiche junge Leute kommen nach einer langen Odyssee in Deutschland an.
Wir begrüßen die Tatsache, dass überall Menschen bereit sind, sich ehrenamtlich für die Flüchtlinge zu engagieren.
Auf der Sitzung in Biebertal wurde von Mitgliedern der Initiative „Biebertal hilft“ berichtet. Wir waren vom hohen Grad an Engagement beeindruckt. Gleichzeitig wurde klar, dass Ehrenamtliche nicht in allen Bereichen helfen können, was wir auch im Gespräch mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Migrationsdienste erfahren konnten. Aber auch die hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten ständig „am Limit“, wie wir im Arbeitskreis Migration der Wohlfahrtsverbände hören konnten.
Abschiebungen
Jeden Tag erhalten Menschen im Landkreis Bescheide, Ihr Aufenthalt sei beendet.
Betroffen sind Menschen aus den Balkanländern, oft Roma, die in Länder zurückgeschickt werden, wo sie diskriminiert werden und im Elend leben müssen.
Betroffen sind auch Menschen, die über ein „sicheres Drittland“ nach Deutschland gekommen sind.
Nach dem „Dublin-Abkommen“ müssen Flüchtlinge dort einen Asylantrag stellen, wo sie zuerst die EU betreten haben und kontrolliert wurden.
Die Liste der Länder, in die abgeschoben wird, wird ständig erweitert. Serbien, Bosnien und Mazedonien gelten beispielsweise als „sichere“ Herkunftsländer. EU-Staaten gelten ohnehin „automatisch“, ohne Überprüfung der Einzelfälle, als sicher. Italien ist das Land, in das am meisten abgeschoben wird. Eine Abschiebung dorthin bedeutet aber ein Leben auf der Straße. Eine Abschiebung in die Ukraine bedeutet Inhaftierung und ein Leben in geschlossenen Lagern.
Dies sind nur einige Beispiele.
Solidarität mit Flüchtlingen und Verhinderung von Abschiebungen in Gießen
In den letzten Wochen konnten Demonstranten zweimal Abschiebungen im Morgengrauen verhindern.
Der KAB begrüßt das Engagement des Bündnisses „Rassismus tötet“.
Fragen an die Landesregierung:
Wie konnte der Hessische Landtag gegen einen Abschiebestopp im Winter stimmen? Wie kann man so unmenschlich sein?
Warum wurde erst mit so viel Verspätung auf die offensichtlich zu erwartenden hohen Flüchtlingszahlen reagiert?
Fragen an die Bundesregierung:
Flüchtlinge sterben im Meer oder auf Landwegen, vegetieren in Lagern, werden misshandelt, sind Opfer von Rassismus und Ausgrenzung.
Wie lange wird das Dublin-Abkommen noch weiter in Kraft bleiben und Menschen daran hindern die Länder zu erreichen, die sie eigentlich erreichen wollten?
Wie lange werden Familien auseinandergerissen, Menschen in größter Not belassen?
Wie lange noch wird sich Europa abschotten und ihre Außengrenzen mit militärischen Mitteln durch FRONTEX abriegeln?
Auch wenn im Landkreis die zuständigen Behörden sich sehr um menschenwürdige Verhältnisse bemühen, können und dürfen wir nicht über die Grundfragen der Flüchtlingspolitik schweigen.
Gießen, 09. März 2015