Rede von Tim van Slobbe in der agah Plenarsitzung am 30.11.2019 in Darmstadt zum Vorschlag
der Hessischen Landesregierung „Verbesserung der politischen beteiligung hier lebender
Ausländerinnen und Ausländer“ wie beschrieben in der „Zusammenfassung des Gesprächs vom 21. November 2019 im Hessischen Landtag“ von Alexander bauer (CDU) und Eva Goldbach
(B90/Grüne)
Hallo, mein Name ist Tim van Slobbe, ich bin Vorsitzender vom Ausländerbeirat des Landkreises
Gießen und stellvertretender Vorsitzender der agah, für alle, die mich noch nicht kennen,
Es ist nicht ganz einfach, weil wir wirklich auch nur 48 Stunden hatten uns mit dem Papier hier zu
beschäftigen, und wir sind ja auch alle noch berufstätig, und ich versuche jetzt die Sichtweise des
agah-Vorstandes klar zu machen.
Erstmal vorweg der Satz:
Eine gute Demokratie lässt sich immer am Umgang mit ihren Minderheiten erkennen.
Und das Thema, der Enis hat es schon gesagt, ist eine quasi faktische Abschaffung des Systems der
Ausländerbeiräte wie es bisher besteht.
Wir sind entsetzt und schockiert, über das Vorhaben an sich und über das Verfahren. Ein Dialog sieht
anders aus, da setzt man sich erst zusammen und spricht bevor Ergebnisse präsentiert werden. Hier
sind die Ergebnisse aber bereits festgelegt.
Jeder der sich damit beschäftigt, kennt die Gründe für die niedrige Wahlbeteiligung, aber das ist hier
jetzt nicht Thema.
Die Landesregierung kommt zum Ergebnis, dass das bisherige Partizipationsmodell der Wahl von
Ausländerbeiräten optimiert und weiterentwickelt werden soll.
Das Gegenteil passiert hier aber.
Der Lösungsvorschlag besteht darin, eine Integrationskommission einrichten zu können.
Das muss man sich mal gut überlegen.
Erstens: Integration. Die Aufgabe der Ausländerbeiräte nach HGO §88 ist das Vertreten der Interessen
der ausländischen Einwohner der Gemeinde, und das Beraten der Organe der Gemeinde. Das ist eine
extrem breite Aufgabe, und die Ausländerbeiräte beschäftigen sich auf dieser Basis mit Dutzenden
von Themen. Integration ist eins von diesen vielen Themen, oder das was bestenfalls bei diesem
Prozess möglicherweise als Nebenprodukt hinten rauskommt.
Die Integration ist nicht Aufgabe der Ausländerbeiräte, sondern der Gesamtgesellschaft.
Unsere gesetzliche Aufgabe ist das Vertreten der Interessen der ausländischen Einwohner.
Dann geht es um eine Kommission.
Bisher haben Ausländerbeiräte das Recht, ihre innere Angelegenheiten selber zu organisieren durch
eine eigene Geschäftsordnung, das heißt ein Ausländerbeirat ist weitestgehend autonom und bestimmt
selbst, mit was er sich wann wie beschäftigt. Das ist geregelt in §87 HGO.
Eine Kommission, so steht es in §72 HGO, untersteht dem Bürgermeister bzw. dem Landrat. Das
heißt: Die Autonomie ist komplett weg.
Dann steht in §67 der HGO, wo es um Kommissionen geht, dass die Sitzungen von Kommissionen
nicht öffentlich stattfinden. Das heißt: Das Gremium trifft sich hinter verschlossenen Türen, dort wird
diskutiert, es kommt vielleicht ein Ergebnis bei raus welches dann schriftlich in einer
Stadtverordnetenversammlung als Stellungnahme vorgelegt wird.
Das bedeutet letztendlich: Die Ausländerbeiräte verschwinden aus dem parlamentarischen
Geschehen, sie werden nicht mehr sichtbar sein.
Ich bin Vorsitzender vom Ausländerbeirat des Landkreises Gießen, und in den Kreistagssitzungen
sitzt der Ausländerbeirat direkt neben dem Rednerpult, kann jederzeit seine Hand heben und zu jedem
der Themen Stellung beziehen. Das ist eine sichtbare Partizipation. Das wird weggenommen, und wir
verschwinden dort.
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: 2016 sind in viele Kreis- und Stadtparlamente
die AfD eingezogen. 2018 ist im Landtag die AfD eingezogen. 2021 werden aus einem Großteil der
hessischen Kommunen die Ausländerbeiräte verschwunden sein. Sie werden dort nicht mehr sitzen,
sie werden nicht mehr daran teilnehmen!
Und das sind jetzt harte Worte, aber ich finde die Grünen und die CDU machen sich damit zu
Menschen, die die Interessen der Rechtsextremen, der Neuen Rechten, der AfD, durchsetzen.
Und das ist politisch einfach ein Skandal. Ich mache seit 15 Jahren Ausländerbeiratsarbeit, und ich
habe nie gedacht dass Deutschland mal so weit kommt ,dass man einfach in einer Zeit, wo jeder redet
über Rechtsextremismus, wo jeder darüber redet was kann man gegen Rechtsextremismus tun, und
wo die Ausländerbeiräte mit die einzigen waren die vor der Bundestagswahl und vor der
Landtagswahl reihenweise Veranstaltungen durchgeführt haben, ihren Kopf hingehalten haben, auf
den Abschusslisten der Rechten stehen, und als Dank dafür werden wir jetzt abgeschafft.
Das ist ein riesen Skandal, anders kann man das nicht benennen. Ich bin wirklich schockiert.
Unglaublich.
Und das ganze Ding ist geschickt aufgemacht, denn man kann ja denken ach, die Landesregierung
eröffnet ja nur eine Option, und jede Kommune kann das ja selber machen.
Die Ausländerbeiräte werden ja nicht abgeschafft.
Die Kommunen, „in denen diese Beteiligungsform bislang zu guten Ergebnissen geführt hat“,
können die Ausländerbeiräte natürlich gerne behalten. Ja wer entscheidet denn das? [Zwischenruf
Bocklet: Das Parlament] Ja, das Parlament. Ich gehe in den Kreistag rein, ich lege mich mit jedem
an. Ich sage die Sicht der Ausländer, und das ist nicht immer unbedingt das was man hören will, da
eckt man an, da macht man sich nicht nur Freunde, und dann kriegt man gesagt, fragen Sie mal im
Landkreis Gießen nach, ah der nervt, das ist schwierig, immer kommt er mit den Rechtsextremen,
jetzt soll er endlich mal ruhig sein.
Und dann kann man schön sagen ja, das hat nicht so gut funktioniert, dann macht man als Option,
dann probieren wir jetzt mal so eine Kommission aus.
Die Erwartung der agah ist das vielleicht einige Kommunen sich nicht trauen, dieses Ding
durchzusetzen weil sie politisch ihr Gesicht verlieren würden, aber das die meisten sagen okay, es tut
kurz weh, aber dann sind wir die endlich los, die politische Beteiligung der Migranten in der
Öffentlichkeit.
Und dann sitzt man in den Kommissionen, tagt ohne Öffentlichkeit, ist nur ein sachkundiger
Einwohner, und man kann keine Öffentlichkeitsarbeit mehr machen, man kann keine eigene Themen
mehr setzen, man kann keine Veranstaltungen mehr machen, man kann nicht mehr über sich selbst
bestimmen. Ein Armutszeugnis ist das.
Andere Möglichkeiten hätte es genug gegeben.
Man hätte wirklich ein Kommunalwahlrecht für alle Ausländer einführen können, aber das ist ja nicht
gewollt, dann hätte man die Ausländerbeiräte vielleicht nicht mehr gebraucht.
Man hätte auch die Rechte der Ausländerbeiräte wirklich stärken können, man hätte die Ressourcen
nicht nur unbestimmt sondern bestimmt festlegen können in der HGO.
Man hätte die Rechte der Ausländerbeiräte wie Antragsrecht schon festschreiben können, man hätte
die Wahltermine zusammen legen können, so dass die Wahlbeteiligung auch wirklich gestiegen wäre,
auch durch mehr Wahllokale, man hätte genug Möglichkeiten gehabt.
Und zum Schluss, wenn man schon sagt, man will was tun für die Kommunen wo keine
Ausländerbeiratswahl zustande kommen weil da keine Kandidaten kommen, dann könnte man
überlegen: Auch in diese Kommunen gibt es einen Ausländerbeirat, man nennt ihn Ausländerbeirat, er
ist keine Kommission sondern Ausländerbeirat, und dort werden, aber nur dort, die Mitglieder
benannt. Aber diese Sache mit den Kommissionen, das geht gar nicht.
Ich möchte noch einmal wiederholen, denn das ist wirklich das Schlimmste: 2016 zieht die AfD in
den Kommunalparlamenten ein, 2018 in den Landtag, und 2021 verschwinden die Ausländerbeiräte.
Herzlichen Dank.