Provozieren und zurückrudern
Landesausländerbeirat und Landeszentrale für politische Bildung thematisieren AfD
Gießen (hin). Der Ausländerbeirat soll abgeschafft werden, so ein Antrag der AfD-Kreistagsfraktion. Dies und ein Eklat bei einer Sitzung des Kreisausländerbeirats waren Anlass, sich bei einer gemeinsamen Plenarsitzung der beiden Ausländerbeiräte von Stadt und Landkreis Gießen mit der AfD zu befassen. Das Fazit der Referenten: Es handele sich um eine durch Wahlen legitimierte Partei, die provoziere und Ängste sowie Vorurteile schüre.
Eingeladen hatte der Landesausländerbeirat in Kooperation mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung. Die Veranstaltung am Dienstagabend war Auftakt zu einer Reihe im Vorfeld der Bundestagswahl. Professor Benno Hafeneger von der Philipps-Universität Marburg und der Vorsitzende des Landesausländerbeirates, Enis Gülegen, referierten. Unter den Gästen im voll besetzten Stadtverordnetensitzungssaal im Gießener Rathaus befanden sich auch Parlamentarier der AfD. Sie hielten sich mit Wortmeldungen allerdings zurück.
Referent Hafeneger versuchte eine Einordnung der AfD im Spannungsfeld zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Typisches Vorgehen der AfD sei es, mit Zuspitzungen des Vokabulars zu provozieren und dann zurückzurudern. Getreu dem Motto »Es sei ja alles gar nicht so gemeint gewesen...«.
Rechtspopulistisches und rechtsextremistisches Gedankengut habe es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland immer gegeben, erklärte Hafeneger. Dies zeigte er anhand der Wahlerfolge der NPD, der Republikaner oder eben jetzt der AfD auf. Die parlamentarische Arbeit kreise um die Themen Flüchtlinge, Migration und Asyl, um damit verbundene Kosten (»Die kriegen alles und wir nichts«) sowie Fragen der inneren Sicherheit. Die Mitglieder der AfD rekrutierten sich aus enttäuschten Unionspolitikern, aus Leuten, die vorher in anderen rechtsgerichteten Parteien tätig gewesen seien, und aus Menschen, die zuvor weder parteipolitisch noch zivilgesellschaftlich aktiv waren, jetzt aber ihren Protest zum Ausdruck bringen möchten.
Die Sympathien für die AfD reichten bis weit in die Mitte der Bevölkerung, berichtete Hafeneger. Diese Sympathie falle aber nicht vom Himmel, sondern entstehe aus der Sorge, vom gesellschaftlichen Fortschritt abgehängt zu werden. Die AfD sei Realität, konstatierte der Marburger Wissenschaftler, und sie sei durch Wahlen legitimiert. Das Klima in den Parlamenten habe sich durch die AfD verändert. Der Ton sei rauer und aggressiver geworden, berichtete Hafeneger.
Enis Gülegen hatte sich das Programm der AfD angeschaut. Es enthalte Unwahrheiten und Halbwahrheiten, schüre Ängste und Vorurteile, fördere Ausgrenzung und Rassismus, sagte Gülegen. Drastischer spiegelte sich dies im Beitrag von Tim van Slobbe wider. Er hatte sich mit dem Facebook-Auftritt des Kreisverbands Gießen der AfD befasst. Er belegte die darin enthaltenen Hasskommentare. Van Slobbe kritisierte aber auch das Verhalten von Mitgliedern des Gießener Kreistags. Die würden sich nicht in gebührender Weise von den Argumenten der AfD abgrenzen.
Gießens Stadträtin Astrid Eibelshäuser rief dazu auf, keine spaltenden Tendenzen zuzulassen. Istayfo Turgay, Dezernent für Integration, Demografie und Teilhabe beim Landkreis Gießen, erinnerte an Projekte zur Bekämpfung von Hass und Intoleranz. Und Zeynel Sahin, Vorsitzender des Ausländerbeirats der Stadt Gießen, lobte Gießen als eine weltoffene und tolerante Stadt.
Giessener Allgemeine, 31.08.2017