Einmal mehr Kritik am Zustand der beratenden Funktion - Letzte Sitzung vor den anstehenden Wahlen - Francoise Hönle zieht Bilanz
(wie). Mit einer kleinen Verspätung begann am Dienstagabend in der Gießener Kreisverwaltung die wahrscheinlich letzte Sitzung des amtierenden Ausländerbeirats des Landkreises Gießen vor den Neuwahlen dieses Gremiums im November.
Vorsitzende Francoise Hönle zeichnete eine sehr positive Bilanz der Arbeit des amtierenden Kreisausländerbeirats, die unter Einbeziehung aller politischen Parteien vonstatten gegangen sei. Allerdings könne man nicht sagen, man habe dies und das erreicht, denn man habe keine Entscheidungskompetenz gehabt, sondern nur beratende Funktion.
Das wichtigste Thema der letzten fünf Jahre sei die Bildungspolitik gewesen, so die Vorsitzende weiter. Die „frühe Selektion“ der Schüler in Deutschland - bereits in Klasse 4 - sei fatal für Migrantenkinder. Man fordere deshalb ein möglichst langes gemeinsames Lernen aller Kinder. Das ganze System der schulischen Ausgrenzung, das gerade Migrantenkinder treffe, gehöre auf den Prüfstand. Man hoffe auf „Inklusion“ statt Ausgrenzung, so Hönle.
Das zweite wichtige Thema war für den Kreisausländerbeirat der juristische Rahmen, in welchem „Nichtdeutsche“ in diesem Land leben müssen. Hierbei habe man unter anderem die Bleiberechtsregelung von 2007, den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft, die eingeschränkten Lebensbedingungen von Asylanten sowie die Praxis der Abschiebung thematisiert. Der Film „Abschiebung im Morgengrauen“ sei nach Abschiebungen im Landkreis Gießen gezeigt worden und habe große Aufmerksamkeit erzielt. „In Deutschland leben mehr Illegale, als man sich vorstellen kann, unter Bedingungen, die man sich nicht vorstellen kann“, so Tim van Slobbe, ebenfalls Mitglied des Vorstandes, am Dienstagabend.
Ein weiteres Thema war in den letzten Jahren die Integration. Neben der Erarbeitung einer eigenen Position hierzu habe man Personen und Kursträger unterstützt, die dabei mitarbeiteten, so die Vorsitzende. Ferner habe man Kleininitiativen im Landkreis, die zur Integration von Migranten beitrügen, vorgestellt.
Zudem war die Diskriminierung und der Ausländerhass der „rechten Szene“ ein Thema. Hier wurden nach Möglichkeit die Opfer unterstützt. Weitere Themenbereiche waren Gesundheit und Migrantenmedizin, die Frage des Altwerdens in einem fremden Land und die Situation von alleinerziehenden Migrantinnen. Man habe außerdem eine juristische Sprechstunde eingerichtet und Vereine und Initiativen gefördert, sagte Hönle abschließend.
Im Anschluss ergänzte Tim van Slobbe, man sei maßgeblich an der Diskussion über die Kompetenzen der Ausländerbeiräte beteiligt gewesen, das Antragsrecht für den Kreisausländerbeirat Gießen sei allerdings nicht eingerichtet worden, obwohl man es sich gewünscht habe und es zudem rechtlich möglich sei. Im Anschluss verabschiedete man feierlich Mitglieder des scheidenden Ausländerbeirats, die sich ins goldene Ehrenbuch des Landkreises Gießen eintrugen. So wird Francoise Hönle in der nächsten Amtsperiode zwar noch kandidieren, aber nicht mehr für den Vorsitz zur Verfügung stehen und Tim van Slobbe übernimmt von ihr den ersten Listenplatz.
Im weiteren Verlauf wurden noch zwei Projekte vorgestellt, zum einen die „Lernkiste“, ein Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, benachteiligte (Migranten-) Kinder und Jugendliche in der Schule und außerhalb der Schule vor allem durch Sprachkurse, Hausaufgabenhilfe und Einbeziehung der Eltern zu unterstützen, zum anderen der litauisch-deutsche Verein, der 2003 gegründet wurde und im Kreis Gießen Konzerte litauischer Musiker veranstaltet.
Gießener Anzeiger, 28.10.10