Merz: Können uns Vergeudung von Ressourcen nicht leisten
Neues Gesetz zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse Thema im Kreisausländerbeirat – Über eigene Erfahrungen berichtet – Diskussion
KREIS GIESSEN (kjg). 2,8 Millionen Migranten mit Ausbildungsabschlüssen, die sie in ihrem Heimatland erworben haben, werden in Deutschland nicht entsprechend ihrer Qualifikationen beschäftigt, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden, sagte Gerhard Merz, integrationspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, anlässlich der Sitzung des Kreisausländerbeirates im Licher Bürgerhaus. Er sei „gemäßigt optimistisch“, dass sich die Situation mit dem neuen Gesetz zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse verbessere.
Von den 2,8 Millionen Menschen hätten, so schätzt man, 800 000 einen Hoch- beziehungsweise Fachhochschulabschluss, 200 000 eine Meisterausbildung und 1,8 Millionen einen Berufsabschluss. Diese Menschen würden unter ihrer Qualifikation beschäftigt, falls sie überhaupt Arbeit hätten. Dies sei eine „Vergeudung von Ressourcen, die wir uns nicht leisten können“. Bei 63 Prozent der Migranten lägen die Abschlüsse inzwischen 15 Jahre und länger zurück. Die Situation sei unübersichtlich, es gebe keine bundesweite Verbindlichkeit und für viele keinen Rechtsanspruch, fuhr Merz in seinem Referat fort. Seit Dezember 2009 gebe es die Eckpunkte un seit Anfang des Jahres einen Gesetz-Entwurf der Bundesregierung zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse. Er hoffe, dass es vorangehe. Nach dem Neuen Gesetz solle es ein Verfahren geben, das für alle offen sei und mit der Anerkennung oder Teilanerkennung des ausländischen Abschlusses ende. Der Migrant solle nach dem neuen Gesetz einen Anspruch auf das Verfahren, die Anerkennung und eine Maximale Bearbeitungszeit von sechs Monaten haben.
Dirk Hohn, Geschäftsführer von Hessenmetall, hob hervor, dass die Wirtschaft es sich nicht leisten könne, auf die Potenziale der Migranten zu verzichten. Die Bewertung von Abschlüssen sei in Deutschland anders als in der restlichen Welt. Das mache es auch für die Betriebe so schwierig, jemanden ohne anerkannte Qualifikation einzustellen. Teilweise hätten die Menschen auch von unseren Abschlüssen abweichende, zusätzliche Fähigkeiten, die nicht berücksichtigt würden. Nach seiner Meinung müsse mit Modulen gearbeitet werden, die auch Teil- und Überqualifikationen abbilden könnten.
Professor Axel Schumann, Vizepräsident der Fachhochschule Gießen-Friedberg sagte, wir hätten in Deutschland eine Standesgesellschaft, bei der die Herkunft und der Ausbildungsabschluss die bestimmenden Faktoren seien. Das sei für Menschen aus anderen Ländern schwer zu verstehen. Zudem würden sie unser System nicht verstehen, was erschwerend dazukomme.
Rosa Tugova von der „Landsmannschaft der Deutschen in Russland“ erklärte anhand ihrer eigenen Erfahrungen, wie schwierig es ist, in Deutschland arbeiten zu können, 200 Mark habe sie für die Urkunde des hessischen Kultusministeriums bezahlt, die ihren akademischen Grad als Lehrerin beurkunden und ihre Hochschulausbildung anerkennt, abe sie sei arbeitslos. Sie habe eine gute Ausbildung und 25 Jahre Erfahrung als Lehrerin in Russland.
In der Diskussion wurden Probleme und Wünsche deutlich. Die duale Ausbildung gebe es nur in Deutschland. Ein Ingenieur in Deutschland habe nicht dieselbe Ausbildung und Qualifikation wie ein Ingenieur in Afrika oder Russland. Es fehlten kompetente Beratungsstellen für die arbeitsuchenden Migranten. Seit 2009 verließen mehr gut ausgebildete Menschen Deutschland als aus dem Ausland dazukommen. Tim van Slobbe, Vorsitender des Kreisausländerbeirates sagte abschließend, das Gesetz sei ein wichtiger Schritt, und es sei notwendig in der Umsetzung auch die entsprechenden Beratungsstellen zu schaffen.
Einstimmig beschloss der Kreisausländerbeirat, einen Arbeitskreis Migrantinnen, den Markéta Roska leiten wird, zu grüßnden. Als Delegierte für die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen wurden Françoise Hönle, Serdar Isik, Edin Muharemovic und Tim van Slobbe gewählt.
Giessener Anzeiger, 25.02.2011