Fremdes Qualifikationspotential nutzen
Kreisausländerbeirat erörterte Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse
Gießen / Lich (olz.). Zu einer öffentlichen Sitzung hatten der Kreisausländerbeirat und dessen Vorsitzender Tim van Slobbe für Dienstag in den Kultursaal des Bürgerhauses Lich geladen. Im Mittelpunkt stand eine Diskussion über die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse und den Fachkräftemangel in Deutschland. Mit einem kurzen Vortrag stimmte Gerhard Merz auf die Thematik ein, der integrationspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion.
Aus vielerlei Gründen habe die Debatte über die Anerkennung solcher Bildungsabschlüsse Schub bekommen, sagte Merz. Und: Das Problem eines Fachkräftemangels sei bereits jetzt beispielsweise in der Altenpflege zu sehen. Man dürfe daher auf keine Qualifikationsreserve verzichten, und es müsse ins Bewusstsein gelangen, dass dieses Potenzial gerade bei Menschen mit Migrationshintergrund zu finden sei.
Zur Verdeutlichung nannte der Sozialdemokrat Zahlen. In Deutschland lebten 2,8 Millionen Zuwanderer, die im Ausland einen berufsqualifizierenden Abschluss erworben hätten. 800 000 von ihnen verfügten über einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss oder ein Äquivalent. Gleichwohl seien viele davon unter Qualifikation oder gar nicht beschäftigt. Merz bezeichnete diesen Zustand als >> volkswirtschaftliche Verschwendung Es ist höchste zeit, dass im Feld der Anerkennung etwas gescheht, bevor die Qualifikation verwittert. << Seit 2005/2006 werde die Thematik diskutiert, doch seien die Zuständigkeiten zersplittert.
Der Landratsabgeordnete forderte daher eine bundesgesetzliche Regelung. Immerhin: Das formale Gesetzgebungsverfahren nähere sich, erklärte Merz, der ein Eckpunktpapier der Bundesregierung für ein Gesetz zur Feststellung und Anerkennung von Bildungsabschlüssen aus 2009 vorstellte. Danach soll jeder Anspruch auf ein Verfahren haben, in dem geprüft wird. ob und inwieweit Bildungsabschlüsse anerkannt werden können. Ziel sei ein individuelles Verfahren, bei dem festgestellt werden soll, ob ein Abschluss ganz oder teilweise- beispielsweise Teile eines Medizinstudiums – anerkannt werden kann. Darüber hinaus formulierten die Eckpunkte den Anspruch, dass vom Vorliegen der vollständigen Antragsunterlagen bis zur Erteilung des Bescheides sechs Monate vergehen dürfen. Eine deutliche Verkürzung, denn aktuell können derartige Verfahren einige Jahre in Anspruch nehmen.
>> Wenn alles auf den Eckpunkten im Gesetzhebungsverfahren realisiert und in Landesgesetze umgesetzt würde, wären wir einen Schritt weiter<<, fasste der Abgeordnete zusammen.
In der anschließenden Diskussion, an der sich Prof. Axel Schumann, Vizepräsident der FH Gießen – Friedberg, Dr. Dirk Hohn von Hessenmetall, Nicole Brinkmann vom Beschäftigungsträger ZAUGg, Rosa Tugova von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und Peter Pilger vom DGB Mittelhessen beteiligen, waren unterschiedliche Positionen zu vernehmen.
Neben Hinweisen auf das Problem, internationale Abschlüsse zu vergleichen, und Bedenken über kulturelle Schranken waren immer wieder auch Erfahrungsberichte Betroffener zu hören. Sie berichten von den Schwierigkeiten, ihren Abschluss in Deutschland anerkannt zu bekommen.
Giessener Allgemeine 24.02.2011