Lebensgeschichten fernab von Klischees
Persönliche Berichte aus drei Biografien – Internationaler Frauennachmittag mit Musik, Tanz und Spezialitäten
GIESSEN (cz). Drei Frauen, drei Schicksale, unterschiedliche Generationen, die allesamt eines gemeinsam haben: Sie kamen aus Ländern außerhalb der Europäischen Union, leben seit Jahren in Gießen und haben durch ihre Geschichten einen anderen Blickwinkel auf Deutschland. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum internationalen Frauentag lud der Ausländerbeirat des Landkreises Gießen zu einem internationalen Frauennachmittag zu Musik, Tanz, Spezialitäten und Lebensberichten in der Aula über dem Lokal International im Eichendorffring ein. Mitveranstalter waren das Deuscth - Russische Zentrum, das Mesopotamische-kurdische Kulturzentrum und die Islamische Gemeinde Gießen.
Ludmila Antonov vom Deutsch-Russischen Zentrum berichtete über die Bedeutung des internationalen Frauentags in Russland. Es werde daran erinnert wie schön die zweite Hälfe der Menschheit sei, sagte sie. Diese Bedeutung habe der Tag bis heute. „Es ist ein Tag des Respekts, der Verehrung, der Schätzung und Achtung für alle Frauen“, führte sie aus. Diese Tradition habe seine Wurzeln im antiken Rom: Am achten Tag im März hätten die Männer eine Vielzahl von Geschenken ihren Frauen aus Dankbarkeit und Liebe übergeben. In der Sowjetunion wird der Tag seit 1913 gefeiert, seit 1966 als gesetzlicher Feiertag. In Betrieben erhielten verdiente Frauen Ehrenurkunden, oft würden besondere Feste und Konzerte organisiert. Innerhalb der Familie habe die Frau Urlaub, sie brauche sich um nichts kümmern. Essen, kochen und dem Abwasch werde an diesem Tag von der Familie erledigt. Nicht allein in der ehemaligen Sowjetunion sie dieser Tag ein Feiertag, sondern auch in vielen anderen Staaten. Sie endete ihren Kurzvortrag damit, dass sie hoffe, dass der 8. März auch in Deutschland einmal ein gesetzlicher Feiertag werde.
Roja Turgut, eine junge Kurdin, flüchtete vor 18 Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland. In der Nähe von Hannover kamen sie in ein Transferlager, dessen Zustände für sie einfach nur schockierend gewesen seien. Ohne Deutschkenntnisse kam sie in die 8.Klasse, arbeitete sich von der Hauptschule in der Realschule noch, wurde erst gemobbt und dann unterstützt. Aus beruflichen Gründen sie die Familie nach Gießen gezogen. Steine wurden ihr in der additiven Gesamtschule, die sie besuchte, in den Weg gelegt. Man wollte ihr den Übertritt in die Oberstufe verweigern. Mit sehr viel Kampfgeist und viel Lernwille habe sie es dennoch erreicht. Sie passe wenig in das übliche Frauenbild, sowohl in das der eigenen Familie als auch in das Bild einer Ausländerin.
So habe sie bereits in der 12.Klasse geheiratet, nach dem Abitur ihr erstes Kind bekommen und habe dennoch den Wunsch gehabt, Medizin zu studieren. Die Familie habe erwartet, dass sie zu Hause bliebe, Unverständnis habe sie geerntet, als sie bei den entsprechenden Behörden um Hilfe bei der Kinderbetreuung angefragt habe. „ Ich habe es dennoch geschafft und arbeite mittlerweile als Zahnärztin in Gießen“, sagte sie. Stetig unterstützt habe sie immer ihr eigener Ehemann.
Die Moderatorin Françoise Hönle dankte für ihr Schilderung, die zugleich alle Frauen Mut machen solle. Eine weitere Lebensgeschichte berichtete Aicha Ben Amor. Die 1953 in Tunesien geborene ist von Anfang an eine kämpferische Natur, erkämpfte sich eine Brille gegen den Widerstand ihres Vaters und kam nach der Heirat nach Deutschland. Ihr Krankenschwesterdiplom wurde ihr anerkannt, allerdings musste sie um eine Beschäftigung kämpfen.
„Aber ich wollte arbeiten, ich wollte unter Menschen, auch um die Sprache zu lernen“, sagte sie. Dies habe sie erreicht und noch vieles mehr managte sie: einer ihrer vier Söhne kam mit einer Körperbehinderung zu Welt. Geholfen habe ihr dabei auch ihr tiefer Glaube, sagte die Mohammedanerin. Hönle dankte den der Frauen für Ihre Offenheit, ihre Geschichten vor den zahlreichen erschienen Frauen zu schildern.
Giessener Allgemeine Zeitung – 15.03.2011