Bilingualer Kindergarten Gießen ist in Planung
Kreisausländerbeirat ließ sich aus erster Hand deutsch-russische Einrichtung „Nezabudka“ in Frankfurt/main erläutern
Gießen (hin). „Gelungene Integration im Kleinformat“ - so beschrieb Julia Zabudkin ihre Erfahrungen mit den deutsch-russischen Kindergärten „Nezabudka“ (Vergissmeinnicht) in Frankfurt. Sie war Gast in der Sitzung des Kreisausländerbeirates am Dienstagabend in der Kreisverwaltung am Riversplatz. Lydia Belov-Hahn (Deutsch-russisches Zentrum Gießen) ergänzte die Ausführungen von Zabudkin und berichtete von Bestrebungen, auch in Gießen einen bilingualen Kindergarten einzurichten. Im weiteren Verlauf des Abends war über eine Nachbesetzung im Vorstand und über Anträge zu beraten. Die Sitzungsleitung hatte Beiratsvorsitzender Tim van Slobbe.
Im Vorfeld der Sitzung fand die Vernissage zur Ausstellung von Arbeiten aus dem Kunstprojekt „Der rote Faden“ von „Schule für alle im Landkreis Gießen“ statt. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Jugendkunstschule „Kunststück“ in Bad Nauheim und unter der Schirmherrschaft von Landrätin Anita Schneider. Unterstützt wurde sie von der Stiftung „Anstoß“. die Ausstellung - darüber berichtet die Gießener Allgemeine Zeitung gesondert - markiert das fünfjährige Bestehen des Vereins.
Kein multikultureller Ansatz
These: Umgeben von deutscher Sprache und deutscher Kultur besteht der Wunsch, auch die Herkunftssprache und Traditionen aus dem eigenen Heimatland oder dem der Eltern und Großeltern zu pflegen. Vor diesem Hintergrund sind Zabudkin und andere Interessierte in den drei Frankfurter Einrichtungen von „Nezabudka“ aktiv. Die Kinder kommen zur Hälfte aus bilingualen Familien, zur anderen Hälfte aus Familien, in denen nur Russisch oder eine andere Sprache, hier: Deutsch, gesprochen wird, wobei auch die Gruppe der russischsprachigen Familien nicht homogen sei, denke man an eine Bandbreite von Litauen bis Kasachstan. Gemeinsamer Nenner sei das Interesse an der russischen Sprache, die Liebe zur russischen Literatur oder andere, mit dem Russischen verknüpfte Traditionen, berichtete Zabudkin. Das Personal in den Kindergärten besteht aus russisch- wie aus deutschsprachigen Mitarbeitern, und nur die je eigene Sprache wird im Kindergartenalltag benutzt. Die Kinder lernen es also, von einer zur anderen Sprache umzuschwenken und sie lernen auch, dass sie manchmal etwas nicht verstehen können. Diese Erfahrung, so Zabudkin, fördere die Toleranz anderssprachigen Menschen gegenüber. Auf der anderen Seite fühle sich niemand, der Sprach-„Defizite“ habe, beschämt, weil es ja keine Defizite seien. Interessanterweise sei zu beobachte, dass sich die Umgangssprache im Lauf der Zeit zum Deutsch hin entwickle, weil dies nun mal die Sprache des Alltags sei, so Zabudkin. Eng verknüpft mit der Sprache werden die kulturellen Verschiedenheiten gepflegt, sei es beim Vorlesen, beim Theaterspiel oder bei Festen, wobei der Fokus auf dem Deutsch-Russischen liege, nicht auf multikulturellen Ansätzen. Zum Schuljahresbeginn 2012/13 soll in Frankfurt eine bilinguale deutsch-russische Grundschule in freier Trägerschaft eröffnet werden, berichtete Zabudkin. Lydia Belov-Hahn berichtete von den Aktivitäten zur Gründung eines bilingualen deutsch-russischen Familienbildungszentrums einschließlich einer Kindertagesstätte in Gießen und bat um Unterstützung des Kreisausländerbeirats. Rasim Azim (Aktive interkulturelle Liste/AiL) ist Nachfolger für den aus dem Vorstand ausgeschiedenen Ivan Lappo-Danilevski. Edin Muharemovic (AiL) und als seine Stellvertreterin Suna Isik (Internationale Liste) vertreten den Beirat im Behindertenbeirat des Landkreises.
Kritik an „12. September“
Jeweils einstimmig sprach sich der Ausländerbeirat für die Kooperation als Partner im Projekt „Netzwerk gegen Diskriminierung“ und für die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle im Landkreis aus. Der Internationale Garten in Lich (Einweihung am 15. September) soll - vorbehaltlich der Zuweisung von Haushaltsmitteln - mit 800 Euro gefördert werden, eine Theateraufführung des Alevitischen Kulturvereins Gießen mit 300 Euro. Um Letzteres hatte sich vor dem Beschluss allerdings eine längere Diskussion entsponnen. So wurden der Titel „12. September“ - ein Bezug zum Militärputsch in der Türkei im Jahr 1980 -, die Plakatwerbung für die türkischsprachige Aufführung als auch die Frage, ob und inwieweit der Ausländerbeirat hätte einbezogen oder eingeladen werden sollen, kritisch kommentiert.
Gießener Allgemeine Zeitung, 8. Juni 2012