>> Was ist Asyl?<<
Iranische Brüder Sadinam lasen aus ihrem Buch >>Unerwünscht << -Vollkommene Fremdbestimmung
Gießen (vo). Dieses Land Wollte sie nicht haben. >> UnerwünschtAntrag abgelehnt<<. Bei einer Lesung am Mittwoch im Alten schloss stellten sich die Zwillinge Motjaba und Masoud den Fragen des Publikums zu ihrem Bericht. Ihr Hab und Gut hatte die Familie aufgeben müssen. Ohne Geld und ohne Papiere kamen Mutter und Kinder in Deutschland an. Die Schleuser hatten 10 000 bis 15 000 Dollar verlangt , zu viel für alle Zusammen. Deshalb konnte der Vater erst Jahre später nachkommen.
>>Was ist Asyl? Das wir in Deutschland bleiben dürfen und ein neues Leben aufbauen.<< Es hatte den Anschein, dass genau dies den Flüchtlingen so schwer wie möglich gemacht werden sollte. Sie durften nicht in Hannover bleiben, wo ihre einzige Bekannte in Deutschland lebte, sondern mussten zunächst nach Münster in ein Auffanglager. Von dort wurden sie nach Lengerich gebracht, in eine winzige, düstere, schreckliche Wohnung. Dennoch bedeutete sie ein Privileg gegenüber der Zwangsunterbringung in Containern.
Regeln und Verbote bestimmten das Leben, Jahre des Wartens in vollkommener Fremdbestimmung. Verstärkt wurde die Abhängigkeit vor allem durch das Verbot zu arbeiten und eigenes Geld zu verdienen. Den Kindern war es peinlich, abgelegte Sache tragen zu müssen, während an der Schule Adidas und Nike groß in Mode waren.
Hinzu kam ein Gefühl der Minderwertigkeit, denn es fiel den Kindern schwer, die Sprache zu lernen. Zu diesem Zweck waren sie in der Auffangklasse einer Hauptschule. Deutsch sprach aber nur der Lehrer, die anderen unterhielten sich je nach Herkunft auf türkisch, afghanisch oder eben persisch. >>Wer als Austauschschüler in ein anderes Land kommt, lernt oft sehr schnell. Bei uns aber dauerte es Jahre, vor allem bis wir uns in der Sprache wohlfühlten. Zuvor galt: Wenn ich nichts sage, mache ich keine Fehler,<< berichteten die Brüder.
Eltern werden als schwach erlebt
>>Rücken Flüchtlingsfamilien näher zusammen? Extreme Situationen können extreme Folgen haben,<< antwortete Motjaba Sadinam. Bei ihnen sei es positiv gewesen. Oft aber komme es zum Streit, zum Beispiel wegen des Lebens auf engstem Raum – sehchs Quadratmeter pro Person. Nach der Ankunft veränderte sich die Familienstruktur, weil die Kinder ihre Eltern als schwach und ohnmächtig erleben müssten. Ein Grund für die Identitätskrise liegt darin, dass die Flüchtlinge keine Sprachkurse besuchen und nicht arbeiten dürfen, um den Unterhalt für die Familie zu bestreiten. Dies sei eine Nebenwirkung der Asylpolitik.
Ein weiterer Kampf war es für die Brüder, von der Hauptschule zur Realschule und von dort zum Gymnasium zu wechseln, um studieren zu können. Sie sehen das deutsche Schulsystem kritisch: Es gehe mehr ums Aussortieren als um Förderung.
Nach langem Ringen mit den Behörden konnte die Mutter, die gerne Ärztin geworden wäre, eine Ausbildung zur Krankenschwester beginnen. Das war ihr sehr wichtig, nicht nur wegen des Geldes, es bedeutete Hoffnung für sie. Allerdings musste sie zusichern, die Ausbildung im Fall einer Abschiebung abzubrechen. Vor genau diesen Forderungen gestellt, brach sie zusammen und überlebte einen Suizidversuch. Die >>aufenthaltsbeendete Maßnahme Unerwünscht - drei Brüder erzählen ihre Geschichte<<.
Zu den Veranstaltern der Lesung gehörten neben Stadt und Landkreis sowie deren Ausländerbeiräten auch die Hochschulen. Deshalb gingen die Brüder auch auf ihren Wechsel von privaten Eliteuniversitäten, für die sie sogar Stipendien bekamen, auf die staatliche Universität in Frankfurt ein. Ihr Ziel sei gewesen, von der neuen Freiheit gebrauch zu machen. Gegenüber dem geradezu maschinellen Lernen zuvor gäbe es hier etwas mehr Spielraum. Im Grundsatz aber machten staatliche Unis nichts besser.
Gefragt wurde, was Bürger/innen für Flüchtlinge tun könnten. Unbedingt helfen zu wollen, können bevormundend wirken, wie das Beispiel der getragenen Kleider zeige. Besser sei es, zu fragen, was die Menschen selbst wollten, Begleitung zu den Behörden vielleicht, einen alten Fernseher schenken oder einen Zoobesuch mit den Kindern organisieren. Ansprechpartner könnten Gruppierungen vor Ort sein, die Stadt, der Landkreis oder der Ausländerbeirat. Genauso wichtig sei politisches Engagement im Sinner der Flüchtlinge.
Gießener Allgemeine Zeitung 13. Juni 2014