„Ein Leben wie in der Warteschleife“
LESUNG Iranischstämmige Studenten Masoud und Motjaba Sadinam berichten über ihren Kampf um Bleiberecht und Bildung
GIESSEN (kjf).„Ich lernte zunächst die Worte, die wirklich wichtig sind , wie Parkleitsystem“, scherzte Masoud Sadinam. Seine Brüder Mojitaba und Milad hätten es sicher einfacher gemacht und Begriffe „wie Kartoffel, Reis oder Tomate“ angeeignet. Angespornt wurden die drei Iraner von dem Verspechen ihrer Mutter, jedes erlernte Wort mit fünf Pfennig zu honorieren. Doch der der Weg zu Bleibe recht und Studium war steinig, wie die Jungautoren jetzt auf die Einladung von Justus-Liebig-Universität(JLU) und Technischer Hochschule Mittelhessen (THM), von Stadt und Kreis sowie Ausländerbeiräten schilderten. Im Netanyasaal des Alten Schlosses lasen sie aus ihrem Buch „Unerwünscht“ vor.
Etwa 100 Zuhörer bekamen die Möglichkeit, einen Blick in eine zu werfen, in die Außenstehende normalerweise keinen Einblick haben. Da Milad Sadinam verhindert war, bestritten die Zwillinge Mojitaba und Masoud die Lesung alleine. In „Unerwünscht“ beschreiben sie das „Leben in einer Warteschleife“, ständig in Angst, einem mörderischen System ausgeliefert zu werden. Mojitaba und Masoud Sadinam wurden 1984 in der iranische Hauptstadt Teheran geboren, wo sie bis 1996 zu Schule gingen. Da ihre Mutter als Regimekritikerin ins Fadenkreuz der Revolutionswächter geriet, musste sich die Familie verstecken, bis sich eine Möglichkeit zur illegalen Ausreise ergab. Diese führte zunächst nach Hannover, wo die einzige Bekannte der Familie lebte. Dort merkten die Brüder schnell, dass sie „zwar das Versteck in Teheran verlassen hatten, aber nicht frei waren“. „Asyl bedeutet, dass wir in Deutschland bleiben dürfen und ein neues Leben aufbauen können“, so Mojitaba. Dem Asyl gingen aber einige Situation voraus, bei denen viele bürokratischen Hürden zu überwinden seien. „ Ich erfuhr etwas von einem Königsteiner Schlüssel, nach dem genaue berechnet wird, wo wer zu leben hat, während er auf seinen Bescheid wartet“, so der Iraner. Dieser Schlüssel sah jedoch keinen Aufenthalt für die Familie in Hannover vor, sondern hatte Lengerich bei Osnabrück berechnet. Unterhaltsam schildern die Bürger in ihrem Buch die ersten Begegnungen mit der neuen Heimat, die sie offenbar „ so wenig wollte“. Zunächst lernten sie als Kinder Deutsch und besuchten die Hauptschule. Der Wechsel der Begabten auf eine Realschule erwies sich jedoch als schwierig. Denn der Rektor mochte die Schüler nicht aufnehmen, erst der persönliche Einsatz einer Sachbearbeiterin machte es möglich. Trotz Hürden und vieler Ablehnungen werden die Beschreibungen der Brüder nie anklagend, sondern bleiben auf humorvolle Distanz. Es ist die strukturelle Erschwerung des Lebens, die die Autoren thematisieren. Anklagen gegen die Person, die die Vorschriften umsetzen, ersparen die Brüder den Lesern. Das trotzdem über weite Strecken ein beschämendes Licht auf Deutschland geworfen wird, liegt an dem „tiefen Misstrauen, von dem die Asylgesetze in Deutschland geprägt sind“, beklagen die beiden.
Mojitaba und Masoud Sadinam lasen im Wechsel vor und standen dazwischen für Diskussionen und zahlreiche Nachfragen zur Verfügung. Dabei schilderten sie unteranderem „ die Ängste, die mit jedem Brief aufbrachen, der einen offiziellen Anstrich hatte.“. Dennoch gelang beiden das Abitur mit Auszeichnung. Heute studieren sie an der Universität Frankfurt. Milad Sadinam arbeitet bereits, als Spielentwickler in einer Softwarefirma. Das Buch „Unerwünscht“ ist im Berlin Verlag erschienen, kostet 16,99 und hat die ISBN 978-3-8270-1079-7.
Gießener Anzeiger 14. Juni 2014