Gießen/Lollar (hin). Seine Familie besteht aus Akademikern, auch er wollte studieren, doch sein Schulabschluss aus dem Irak wird in Deutschland nicht anerkannt. Omam Kakoz musste also noch einmal ganz von vorn beginnen. Dank seines eisernen Willens und mit Hilfe eines engagierten Ausbildungslotsen schaffte er es, das angestrebte Ziel zu erreichen. Inzwischen ist er Student der Architektur. Wie viel Engagement, aber auch welche Kenntnisse von Zugangswegen zu den einzelnen Bildungsabschlüssen und beruflichen Perspektiven nötig sind, um alle individuellen Möglichkeiten auszuschöpfen, erschloss sich dem Kreisausländerbeirat in einer Sitzung am Dienstag in der Clemens-Brentano-Europaschule (CBES).
Zu der Sitzung in der CBES-Mensa fanden sich neben den Beiratsmitgliedern unter dem Vorsitz von Françoise Hönle (Lich) auch Vertreter mehrerer Schulen, ein Mitarbeiter des Zentrums Arbeit und Umwelt Gießen (ZAUG) und Joachim M. Kühn, stellvertretender Geschäftsführer der Gesellschaft für Integration und Arbeit Gießen (GIAG), ein. Kühn berichtete von aktuell 744 arbeitslosen Jugendlichen in Stadt und Landkreis Gießen, junge Leute zwischen 15 und 25 Jahren, die nicht in einer Schule oder in einer anderen Maßnahme untergebracht sind. 177 dieser jungen Leute haben keinen deutschen Pass. Ein Großteil der Jugendlichen werde unversorgt bleiben, es sei denn, in den kommenden 14 Tagen ergebe sich noch ein Angebot, berichtete Kühn. Er riet, kleinteilige Lösungen anzustreben, Vorurteile abzubauen, Förderansätze zu differenzieren und die Diskrepanzen zwischen Berufswünschen und beruflicher Wirklichkeit abzubauen. Als konkrete Maßnahme stellte er ein in Kürze beginnendes Projekt vor, bei dem junge Leute über Erwerb einer Fußballtrainerlizenz zu beruflichen Qualifikationen geführt werden sollen. Er bedauerte, dass von 150 vorhandenen Plätzen nur 60 in Anspruch genommen worden seien.Markus Richter, Leiter des Hauptschulzweiges der CBES, bezeichnete es als wichtig, Schülerinnen und Schüler nicht etwa als >>NummerDIN-Norm geformtekreiseln<< müssen. Das demotiviert und trage dazu bei, einmal Erlerntes beiseite zu schieben, betonte Richter. Die Kritik, dass Schüler mit Migrationshintergrund schneller als andere in eine Sonderschule abgeschoben würden, konnte er nur zum Teil nachvollziehen. Sonderschule werden von Eltern oft als Schmach empfunden. Ihr Bestreben, die Kinder auf der Hauptschule zu belassen, aber gehe zu Lasten der Kinder, meinte Richter.Dem Ausländerbeirat stellte sich die Integrationsbeauftragte Selma Bahcivan mit Büro in der CBES vor und sagte, dass sie an der Schnittstelle zwischen Schule und Kommune sitzt. Als >>Übersetzerin<< sowohl in sprachlicher Hinsicht als auch im übertragenen Sinn ist sie bestrebt, für eine enge Zusammenarbeit zwischen örtlichen Institutionen und Schule zu sorgen, und ist Ansprechpartnerin für Einheimische ebenso wie für junge Leute mit Migrationshintergrund und deren Eltern.Ulla Limberger (Forum für Volkerverständigung) aus Lich berichtete von ihren Erfahrungen aus Lotsenprojekten. Sie riet, nicht erst bei der Ausbildungsplatzvermittlung, sondern schon bei der Berufsfindung beratend einzugreifen, und bedauerte die oft mangelnde Unterstützung durch Migrantenvereine und Elternhäuser. Zudem beklagte sie die mangelnde Flexibilität von Jugendlichen bei der Berufwahl oder bei der Auswahl des Ausbildungsortes.Der Ausbildungslotse Abderrahim En-Nosse sprch die Hürde an, die Ausbildungswillige Menschen wie Omam Kakoz zu überwinden haben. Erfolge seien nur durch intensive und individuelle Beratung und Betreuung zu gewährleisten, so En-Nosse. Er bat, nicht die Tristesse, sonder die Schönheit und Kreativität eines Berufes, etwa im Betonbau oder bei der Arbeit als Steinmetz, hervorzuheben.Sozialplanerin Ruth Hoffmann (Landkreis Gießen) unterstrich, dass auftretende Probleme nicht allein auf den Migrationshintergrund zurückzuführen seien, sondern sich oft aus familiären Konstellationen ergeben. Sie bedauerte schleppende Rückmeldungen von Kommunen bei Datenerhebungen. Günther Semmler (FWG), Kreistagsabgeordneter und Stadtverordneter aus Laubach, erklärte, die beim Ausländerbeirat erhaltene Information hätten seinen Blick geschärft. Er werde künftige Haushaltsdiskussionen nun aus anderer Perspektive betrachten.Quelle: Gießener Allgemeine Zeitung vom: 28.08.2008