aus: Gießener Allgemeine Zeitung vom 24. Januar 2008, Seite 38
Wahlrecht und Bildung zwei Kernthemen
Vertreter von SPD, FDP, Bündnis90/Grüne und Linke stellen sich Fragen des Kreisausländerbeirates
Gießen (hin.) Wenige Tage vor der Landtagswahl traf sich der Kreisausländerbeirat mit Vertretern verschiedener Parteien, um deren Aussagen zu vorgegebenen Themenkomplexen zu hören. Bei der Sitzung am Dienstagabend im ZiBB stellten sich Jochen Kilp (FDP), Dr. Christiane Schmahl und Bernd Kaufmann (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Michael Janitzki (Die Linke), Andrea Jacob (parteilos für die Linken) sowie Dietlind Grabe-Bolz und Horst Nachtigall (SPD) den Fragen der Anwesenden. Die CDU hatte keinen Vertreter entsandt. Die Freien Wähler hatten abgesagt.
Der Fragenkatalog reichte von Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Bürger über Bildung und Asyl bis zu sozialen Diensten für Migranten. Jochen Kilp befürwortete das Wahlrecht für Menschen, die länger als fünf Jahre in Deutschland leben. Schmahl, Janitzki und Grabe-Bolz äußerten sich ebenfalls zugunsten eines Wahlrechts für Nicht-EU-Bürger. Beiratsmitglied József Drabik (Internationale Liste/IL) meinte dagegen, das Wahlrecht sollte deutschen Staatsbürgern vorbehalten bleiben. Andernfalls wäre es ein "Schlag ins Gesicht" für jene, die sich hätten einbürgern lassen. Größten Platz in der Diskussion nahm der Block "Bildung" ein. Schmahl wünschte sich eine "neue Schule" und gemeinsamen Unterricht bis Klasse 9 oder 10. Kilp sagte, Kindern, denen man nach der 4. Klasse den Wechsel ins Gymnasium zutrauen könnte, sollten dies auch dürfen. Grabe-Bolz bezeichnete es als beschämend, wenn eine Gesellschaft es sich leiste, Kinder zurückzulassen. Außerdem gebiete es die volkswirtschaftliche Vernunft, jedes Kind seine Potentiale ausschöpfen zu lassen. Janitzki erinnerte an den Druck auf Eltern durch frühe Selektion. Die propagierte Schulfreiheit sei in Wirklichkeit keine, meinte Janitzki. Schmahl erklärte, jedes System sei nur so gut wie der Wille zu dessen Umsetzung. Zu den Vorlaufkursen im Kindergarten hieß es (Grabe-Bolz), sie seien gut gemeint, aber unzureichend. Schmahl betonte die Vorlaufkurse seien besser als gar nichts, allerdings müssten sie in den Kindergarten integriert sein. Außerdem sollte sich die Förderung an der Notwendigkeit und nicht an der Staatsbürgerschaft orientieren, hieß es. Kilp wünschte sich ein verpflichtendes "Kinderschuljahr", um den Einstieg in die Grundschule zu erleichtern. Er sprach von "frappierenden Sprachdefiziten". Zum Thema Sonderschule meinte Kilp, dass deren Besuch gar nicht erst notwenig werden sollte. Grabe-Bolz bezeichnete die Sonderschule als Ausdruck von Hilfslosigkeit. Beiratsmitglied Baris Mehder (IL) erklärte, die Sonderschule werde Eltern von Migrantenkindern schmackhaft gemacht wie anderen das Gymnasium. Ihre Unwissenheit werde ausgenutzt, kritisierte Mehder. Tim van Slobbe (IL) gefiehl eine Aussage der FDP zum Religionsunterricht. Statt konfessionellen Unterrichts fordere die FDP Religionskunde für alle, hieß es. Schmahl bekannte, die Aussage der Liberalen zu diesem Thema besser zu finden als die ihrer eigenen Partei, und auch Grabe-Bolz meinte: "An diesem Punkt könnte einem die FDP richtig symphatisch werden." Geschäftsführerin Markéta Roska riet, den Religionsunterricht in den Schulen zu belassen, um jedwedem Fundamentalismus entgegenzuwirken. Grabe-Bolz versprach die Abschaffung der Studiengebühren, sollte Andrea Ypsilanti die Landtagswahl gewinnen. Kilp riet, zwecks Koalition dann "nicht bei der FDP anzurufen", denn die verfolge ein anderes Modell. Die FDP setze auf die Ausgabe von Bildungsgutscheinen, um ein gebührenfreies Erststudium zu ermöglichen. Zur Schaffung von Ausbildungsplätzen hoffte Kilp auf Anreize für die Wirtschaft. Tim van Slobbe plädierte für schulische Lernwerkstätten. Schmahl forderte, Kleinunternehmer ausländischer Herkunft stärker in die Ausbildung junger Leute einzubinden. Grabe-Bolz riet (Thema muttersprachlicher Unterricht), das Potential der Mehrsprachigkeit nicht zu vernachlässigen.