mit den Antworten Herrn Frickes:
Es ist allgemein bekannt, dass Schüler mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem benachteiligt sind. Sie sind in Förder- und Hauptschulen überrepräsentiert und in Gymnasien und an den Universitäten unterrepräsentiert. Wie gedenken Sie als zukünftige Landrätin/zukünftiger Landrat, dieser Situation gegenzusteuern? Die angedeutete Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem hat, wie Sie wissen, vielfältige Ursachen. Der Landkreis hat dabei selbstverständlich keinen Einfluss darauf, wo ein Kind seine schulische Laufbahn absolviert, denn dies ist eine Aufgabe der inneren Schulverwaltung und fällt damit in den Zuständigkeitsbereich des Landes. Was ich als zukünftiger Landrat in diesem Bereich tun kann, ist immer wieder im Rahmen von Bürgermeisterdienstversammlungen und gegenüber den Spitzenverbänden darauf hinzuweisen und die Problematik zu thematisieren. Aus meiner Sicht besteht hier die Notwendigkeit einer Förderplanung. Wir müssen dabei vor allem die Übergänge (KiTA-Schule, Schule-Ausbildung, Arbeit) weiter verbessern; vor allem aber scheint es mir notwendig zu sein, weiter den Informationsfluss zu optimieren und das System Schule transparenter zu machen. Zu Ihrer vertiefenden Information in diesem Zusammenhang verweise ich auf die kürzlich erschienene Schrift „Unser Kind kommt in die Schule“ - Informationen für zugewanderte Eltern, die in Kooperation zwischen dem Hessischen Kultusministerium und dem Landesausländerbeirat entstanden und seit dem 20.5.09 als Broschüre beim Hessischen Kultusministerium zu bekommen ist. Sie ist außerdem als Download unter www.kultusministerium.hessen.de zu erhalten. Die Lebenswegplanung und damit auch die schulische Laufbahn liegt aber auch und vor allem in den Händen von Elternhaus, Schüler und Schule. Der Weg der Schüler durch unser gegliedertes Schulwesen hängt neben den Leistungen des Einzelnen auch von sozialen Kompetenzen ab. Durchaus ist immer wieder festzustellen, dass Schüler mit Migrationshintergrund gerade im Bereich Erziehungshilfe massive Probleme haben. Dem entgegen zu wirken, muss zugleich auch vordringliche Aufgabe des Elternhauses sein. Dem Abbau von Problemen im sozialen Kontext wirkt der Landkreis schon durch die neu eingeführte „Sozialarbeit an Schulen“ entgegen. Für einen Ausbau dieses neuen Instruments werde ich mich auch als Landrat weiter einsetzen. Die Hessische Verordnung über die sonderpädagogische Förderung sieht die Förderung in der Regelschule vor, wenn die personellen und räumlichen Voraussetzungen gegeben sind. Im Rahmen des Konjunkturprogramms wird jetzt viel Geld in die Landkreisschulen investiert. Werden Sie in diesem Rahmen die Förderschulen ausbauen oder der Verordnung entsprechend diese Voraussetzungen an den Regelschulen schaffen? Die „Verordnung über die sonderpädagogische Förderung von Schülerinnen und Schülern“ weist auf die sächlichen, räumlichen und personellen Bedingungen einer guten Förderung hin. Dem ist nichts hinzuzufügen. Der Landkreis erfüllt seinen Part der Verordnung durch die räumlichen und sächlichen Voraussetzungen, indem er - nun durch das Konjunkturprogramm verstärkt - die Lernvoraussetzungen an den Schulen im Landkreis verbessert. Dies gilt für alle Schulen im Kreis. Veränderungen an den Grund- und Gesamtschulen im Kreis über das Programm hinaus sind nicht erforderlich, da bei der Umsetzung des Programms der Aspekt der Barrierefreiheit für behinderte Schülerinnen und Schüler stets einbezogen wird (Hessisches Behindertengleichstellungsgesetz und Kreistagsbeschluss). Die personellen Ressourcen werden durch die Hessische Landesregierung in Form von Lehrerzuweisungen sicher gestellt. Auf diese hat er keinen Einfluss. Wie stehen Sie zur Erweiterung des Angebots an integrierten Gesamtschulen auf Grund der hohen Nachfrage? Der Landkreis Gießen denkt derzeit nicht an Erweiterung in Form von zusätzlichen Standorten. Bis auf die Schulform „Gymnasium“ hält der Kreis ein umfassendes Angebot vor. Einer Standorterweiterung steht die demographische Entwicklung und damit auch die Entwicklung der Schülerzahlen in den kommenden Jahren leider entgegen. Wenn Schulen in ihrer Autonomie über eine Schulformänderung nachdenken oder sie beschließen wird der Kreis sich mit diesem Thema befassen. Voraussetzung ist immer zuerst die Abstimmung in den schulischen Gremien: Gesamtkonferenz, Elternbeirat, Schülervertretung, Schulkonferenz und ein entsprechender Beschluss. Diesen Beschluss dann weiter zu begleiten ist Aufgabe des Landkreises als äußere Schulverwaltung und des Landes (Staatliches Schulamt) als innere Schulverwaltung. Der Ausländerbeirat ist für längeres gemeinsames Lernen und befürwortet eine Förderstufe bis mindestens Klasse 6. Wären Sie bereit uns in diesem Anliegen auf Kreisebene zu unterstützen? Hinsichtlich einer Förderstufe bis mindestens zur sechsten Klasse sehe ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt als nicht unproblematisch an. Hierzu müsste zunächst ein Antrag aus einer Grundschule vorliegen, der durch eine umfassende Diskussion innerhalb der politischen Gremien des Landkreises. Aus meiner Sicht ist im Augenblick nicht hinreichend ersichtlich, ob die gemeinsame Förderstufe wirklich im Interesse der Kinder ist; die Frage stellt sich dann nach der Anschlussfähigkeit an das weiterführende System und seiner zu erreichenden Abschlüsse. In welchem Umfang unterstützt der Landkreis Gießen zurzeit die Hausaufgabenhilfen an den Kreis-Schulen? Wären Sie bereit, dieses Angebot zu erweitern? Nach meinem Kenntnisstand gibt es an den Kreisschulen zahlreiche Angebote für Hausaufgabenhilfe; diese findet vor allem durch die erstklassige Arbeit der jeweiligen Fördervereine im Rahmen der Mittagsbetreuung. Auch der Landkreis selbst hält entsprechende Angebote im Rahmen der Jugendhilfe vor. Aus meiner Sicht werden wir zukünftig aufgrund der Erweiterung des Ganztagsangebotes hier ein zusätzliches Angebot machen müssen, wobei die finanzielle Größenordnung neben der Jugendhilfe und der „Sozialarbeit an Schulen“ im Augenblick noch nicht absehbar ist. Die Vorlaufkurse für Kinder im Kindergartenalter sind nach unseren Beobachtungen nicht so wirksam, dass sie die vorhandene Benachteiligung ausgleichen könnten. Welche weiteren Konzepte schlagen Sie für die vorschulische Förderung vor? Der Bildungs- und Erziehungsplan des Landes Hessen stellt Angebote für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder bereit und berücksichtigt in höchstem Maße die individuellen Stärken und Schwächen, die unterschiedlichen Interessen und kulturellen Erfahrungen jedes einzelnen Kindes. Nähere Informationen und den Plan bekommen Sie als Download unter „www.kultusministerium.hessen.de mit dem Stichwort: „Bildungs- und Erziehungsplan“. Nach meiner Wahl zum Landrat „werde ich mich verstärkt für eine enge Verzahnung des Planes mit der Grundschule einsetzen, ebenso wie für eine mögliche Verbesserung des Personalschlüssels in den kommunalen Kindertagesstätten durch intensive Gespräche mit den Bürgermeistern und den anderen Trägern (Kirche, Lebenshilfe oder anderen). Zahlreiche Migrantinnen und Migranten, die neu nach Deutschland kommen oder schon lange hier sind, besuchen „Sprach- und Integrationskurse“. Wir freuen uns über die erfolgreichen Bemühungen der Kreisvolkshochschule in Zusammenarbeit mit dem BAMF dieses Angebot ständig zu optimieren. Wir haben festgestellt, dass in verschiedenen Kreisgemeinden Kurse erst nach längerer Zeit (oder gar nicht) zustande kommen konnten, weil es schwer war die geforderten Teilnehmerzahlen zu erreichen. Welche Maßnahmen können Sie sich vorstellen, um die Existenz und Attraktivität der Kurse bekannter zu machen? An dieser Stelle begrüße ich die Kurse im Rahmen der KVHS, die durch das BAMF finanziert werden ausdrücklich. Was das Nichtzustandekommen einzelner Kurse anbetrifft, so sind die Gründe hierfür tatsächlich vielfältig (Kurse im ländlichen Raum oder in kleineren Kommunen, sehr wenige Teilnehmer, Kostenaspekt) und im Einzelfall ausgesprochen misslich. Eine mögliche Maßnahme könnte hier sein, dass diejenigen Familien, die in den Landkreis kommen, in ihrer Muttersprache durch einen Flyer oder über einen Dolmetscher, über die Kurse informiert werden. Hier könnte nach meiner Ansicht auch der Ausländerbeirat aufgrund seiner Sprachkompetenz nützliche Hilfestellungen geben. Wären Sie, angesichts der Tatsache, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist und es bleiben wird und muss, bereit, die Ziele und die Ausstattung der Ausländerbehörde zu überdenken? Sind Sie auch der Meinung, dass eine moderne Ausländerbehörde ein „Servicezentrum“ für Migrantinnen und Migranten sein müsste und nicht so sehr als „Gefahrenabwehrbehörde“ verstanden werden sollte? Ich bin der Auffassung, dass sich sämtliche Fachbereiche und Fachdienste der Kreisverwaltung vorwiegend als Servicezentren und Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger zu verstehen haben. Soweit den Fachdiensten Aufgaben der Gefahrenabwehr gesetzlich zugewiesen sind, lege ich großen Wert darauf, dass diese Aufgaben im Rahmen der geltenden Gesetze auch ausgeführt werden. Im Zuge der Bleiberechtsregelungen für so genannte „Altfälle“ haben zahlreiche Personen im Jahr 2007 eine bis Ende 2009 befristete Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten. Wie sehen Sie die Zukunft dieser Personen, wenn sie bis dahin keine feste Arbeit finden konnten? Wären Sie für eine großzügige Umsetzung der Regelung in dem Sinne, dass eine Aufenthaltserlaubnis auch erteilt wird, wenn die Voraussetzungen erst teilweise erfüllt sind? Diese Frage im Zusammenhang mit „fester Arbeit“ zu beantworten ist für mich ausgesprochen schwierig. Die Arbeitsplatzsuche ist derzeit für alle Arbeitssuchenden unabhängig von ihrer Nationalität aufgrund der Finanzkrise nicht einfach. Rezession und Stellenabbau in den Firmen sind auch im Landkreis Gießen zu beklagen. Unabhängig von der Nationalität der Betroffenen werde ich mich nach meiner Wahl zum Landrat des Landkreises Gießen mit Nachdruck für die Schaffung von Arbeitsplätzen in Kooperation mit Arbeitgebern in der Region und MitteHessen e.V. einsetzen. Dabei ist die Steigerung der Attraktivität des Kreises Gießen eines der wichtigsten Ziele des zukünftigen Landrats. EU-Bürger und Bürgerinnen nehmen an den Kommunalwahlen teil. Die hessischen Ausländerbeiräte beteiligen sich in diesem Jahr an der Kampagne „Demokratie braucht jede Stimme! – kommunales Wahlrecht für alle“. Würden Sie sich für das Kommunalwahlrecht auch für Nicht-EU-Bürger einsetzen? Leider kann ich mich der Auffassung der Ausländerbeiräte zu diesem Thema nicht anschließen: Ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger lehne ich aus grundsätzlichen Erwägungen ab: Aus meiner Sicht ist das Kommunalwahlrecht nicht Voraussetzung für einen erfolgreichen Integrationsprozess in unserem Land, sondern vielmehr die Folge eines erfolgreichen Prozesses, an deren Ende dann auch die Einbürgerung und die Annahme der Staatsbürgerschaft der Bundesrepublik stehen sollte. In diesem Bereich ist die Region Gießen auch in Hessen nach jüngsten Erhebungen führend. Das Ziel muss für mich letztlich die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft sein, sofern bei den genannten Personen die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Sind Sie auch dafür, dass Arbeitserlaubnisse großzügig an geduldete Migrantinnen und Migranten erteilt werden?Eine Duldung bedeutet nach deutschem Recht, dass die Abschiebung eines an sich ausreisepflichtigen Ausländers förmlich aufgehoben wird. Die Verpflichtung zur Ausreise wird nicht komplett aufgehoben. Aber durch die Duldung wird ein fester Zeitrahmen gesetzt, in dem die geduldete Person nicht ausreisen muss. Die Duldung stellt dabei - wie Sie wissen - keine Aufenthaltserlaubnis dar.Personen mit einer Duldung dürfen nur dann arbeiten, wenn sie eine gültige Arbeitserlaubnis haben. Nach meiner Kenntnis verfahren die Ausländerbehörden in Hessen bei der Antragserteilung ausgesprochen kooperativ: So wird ein Antrag auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis tatsächlich nur noch in wenigen Ausnahmefällen abgelehnt. Aus diesem Grunde bedarf es nach meiner Überzeugung hier keiner noch großzügigeren Regelung. Wie sehen Sie die Zukunft der ZAUG GmbH? Würden Sie sich dafür einsetzen, dass Gelder aus dem Konjunkturpaket nach Möglichkeit auf Kreisebene auch in Arbeit und Qualifizierung für Arbeitssuchende und Benachteiligte investiert würden? Die ZAUG gGmbH ist in der Region Gießen als ein anerkannter Dienstleister kommunaler Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Beschäftigungsförderung. Sie ist einer der Bausteine für ein Netzwerk kommunaler Berufsbildungs- und Beschäftigungsförderung im Kreis Gießen. Ein aus meiner Sicht richtungsweisendes Projekt von ZAUG ist dabei der „Gießener Weg“. Die Kriterien des Konjunkturprogramms des Landes und des Bundes bieten leider keine Möglichkeit, hier in zusätzlichen Ausbau des Programms von ZAUG zu investieren. Dennoch werde ich mich nach meiner Wahl zum Landrat intensiv für weitere Programme zur Förderung der Qualifizierung und Ausbildung Benachteiligter in unserem Kreis einsetzen. Die Sozialen Dienste sind in den Ortschaften des Landkreises weitgehend abgebaut worden. Wären Sie bereit, wieder mehr Beratungsangebote dezentral einzurichten? Die demografische Entwicklung auch im Landkreis Gießen zeigt uns, dass gerade die ländlichen Bereiche mit einem höheren Bevölkerungsrückgang zukünftig zu rechnen haben. Aus diesem Grunde ist es sehr wichtig, in diesen Bereichen für die Bürgerinnen und Bürger ein möglich großes Beratungsangebot vorzuhalten. Ob es hierzu der vermehrten Einrichtung dezentraler Beratungsangebote bedarf, ist zu prüfen. Lich hat durch die Einstellung eines „street-workers“ erste positive Erfahrungen mit aufsuchender Sozialarbeit gemacht. Wären Sie bereit, solche Projekte auch in anderen Kreiskommunen zu initiieren und zu fördern? Das dargestellte Modell bietet im Rahmen der aufsuchenden Sozialarbeit interessante und gewinnbringende Aspekte, deren Ergebnisse - wie zutreffend bemerkt – in den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Kreiskommunen fallen. Gerne bin ich nach meiner Wahl zum Landrat dazu bereit, die Thematik im Rahmen auf die Tagesordnung der Bürgermeisterdienstversammlung zu setzen, um im gegenseitigen Erfahrungsaustausch mit den Kollegen hier den Projektansatz zu besprechen. Unter der ehemaligen Sozialdezernentin Frau Elies ist eine Studie zu rechten Jugendcliquen im Landkreis Gießen erstellt und 2002 veröffentlicht worden. Würden Sie eine Fortschreibung dieser Studie befürworten und in Auftrag geben? Nach meiner Auffassung stellen politische Extremisten von rechts wie von links für den Rechtsstaat grundsätzlich ein Gefährdungspotential dar. Im Hinblick auf die von Ihnen genannte Studie werde ich prüfen, ob eine Fortschreibung der Studie mit einer entsprechenden Aktualisierung aus wissenschaftlicher Sicht derzeit angezeigt ist.