„Alle die legal hier leben, sollen hier legal arbeiten dürfen“
Politiker von SPD und CDU sowie FDP, Grünen und Linken waren am Riversplatz zu Gast beim Kreisausländerbeirat
Gießen (hin). „Ich kann mich doch nicht ständig umbürgern lassen!“ Was Tim van Slobbe, Mitglied des Kreisausländerbeirats, im Zusammenhang mit der Forderung nach einem kommunalen Wahlrecht äußerte, beleuchtete eines von fünf verschiedenen Themen, die am Dienstag zur Sprache kamen. Politiker aus verschiedenen Parteien standen dem Gremium Rede und Antwort bei dessen erster Sitzung nach der Sommerpause. Dies waren die Kandidaten für die Wahl zum Bundestag Rüdiger Veit (SPD), Dr. Helge Braun (CDU) und Tom Königs (Bündnis 90/ Die Grünen) Landestagsabgeordneter Wolfgang Greilich (FDP) sowie Kreistagsmitglied Dennis Stephan (Die Linke). Der Kreisausländerbeirat tagte erstmals im neuen Konferenzsaal der Kreisverwaltung am Riversplatz. Seine Sitzungen sollen, aber wie bisher praktiziert, auch weiterhin dezentral an unterschiedlichen Orten im Landkreis durchführt.
„Wer als Holländer in Deutschland lebt und dann nach Spanien umzieht, kann sich doch nicht jedes Mal einbürgern lassen, um politisch mitzubestimmen,“ urteilte der Pohlheimer van Slobbe zum Thema Wahlrecht.
Am 27. September wählen zu gehen, ist den meisten der am Dienstag beim Kreisausländerbeirat Anwesenden verwehrt. Die in Berlin getroffenen Entscheidungen beeinflussen aber das Leben aller in Deutschland lebenden Menschen, erklärte Vorsitzende
Françoise Hönle.
Beiratsvorsitzende Hönle kritisiert „zu enges Korsett“ der Integrationskurse
Die Licherin bezeichnete die sogenannten Vorlaufkurse als ein enges Korsett, das längst nicht allen Teilnehmern gerecht werde. Analphabetinnen, zum Beispiel, hätten Probleme. FDP-Politiker Greilich betrachtete die Integrationskurse als erfolgreich, was nicht daran hindere, die Anforderungen immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Braun hob hervor, man müsse schauen, was originärer Bestandteil des Kurses sei und was von anderen Institutionen geleistet werden könne (Kreisebene/ GIAG). Veit betonte, dass die Kurse vom Grundsatz her inzwischen von allen im Bundestag vertretenen Parteien befürwortet würden. Vorhandene Mängel könnten „auf dem kleinen Dienstweg“ beseitigt werden, meinte Veit. Königs wünschte sich mehr Flexibilität. Stephan hob hervor, man wolle sich von den „gebügelten Volksparteien“ unterscheiden: In der Finanzkrise sei „jede Menge Geld gedruckt“ worden – aber nicht für Änderungen im zwischenmenschlichen Bereich. Helge Braun forderte den unklaren Status der Duldung zu verkürzen, statt über eine Anhebung der Leistungen für diese Personengruppe zu sprechen. Letztere wurde von Königs angeregt worden. Greilich meinte, der Status der Duldung widerspräche einer Förderung zum Zwecke der Integration. Der Staat müsse schnell entscheiden, wer bleiben dürfe und wer nicht. Neue Altfälle aufzubauen, sei ein „Treppenwitz“, meinte der liberale Politiker. Rüdiger Veit kritisierte die schleppende Arbeit bei den Gerichten. Klagen über zu lange Verfahrensdauern kämen oft von jenen, die ihre Verwaltungsgerichte unzureichend ausstatteten, hieß es. Die Fristen auf Aufenthaltserlaubnisse auf Probe über den 31. Dezember 2009 hinaus zu verlängern, ist eine schon länger bestehende Forderung des Ausländerbeirats. Veit betonte, dass sich ein diesbezügliche Lösung vor den Sommerferien abgezeichnet habe. Die CDU habe aber in dieser Legislaturperiode keine Entscheidungen mehr treffen wollen. Veit meinte, sei ein Widerspruch, die Überalterung der Gesellschaft zu beklagen, andererseits aber andere Menschen abzuschieben, die in Deutschland geboren und aufgewachsen seinen und die die deutsche Sprache auch ohne Zusatzkurse beherrschten. Greilich erinnerte an eine Gesetzesvorlage der FDP mit dem Ziel, die Frist bis zum 31.Dezember 2010 zu verlängern. Der Antrag sei aber verlängert worden. Braun fürchtete Rechtsunsicherheit bei nachträglicher Änderung.
Die Diskussion um die Fristen entspann sich vor dem Hintergrund eines erschwerten Zugangs zum Arbeitsmarkt. Dazu Königs: „Alle, die legal hier leben, sollten legal hier arbeiten dürfen – auch Asylbewerber.“ Er plädierte für eine Abschaffung der Residenzpflicht.
Komplex „Wahlrecht und Einbürgerung“ kam kürzer als erhofft zur Sprache
Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit wurden die Themen Bildung, Wahlrecht und Einbürgerung wesentlich kürzer behandelt als vom Beirat erhofft. Greilich sagte, Sprache sei der Schlüssel zum Erfolg. Über „Feinheiten“ könne man anschließend sprechen. Königs forderte, den „Soli“ als „Bildungs-Soli“ zur erhalten. Veit forderte eine Erleichterung der Mehrstaatlichkeit zur Teilhabe an den Bürgerrechten. Das Kommunalwahlrecht betrachtete er als Zwischenstation auf dem Weg dorthin. Helge Braun hingegen forderte: „Wer wählen möchte sollte sich erst einmal einbürgern lassen.“ Den Weg zur Kommunalwahl zu ebenen, nicht aber zur Landtags- oder Bundestagswahl hielt er für eine „künstliche Trennung“. Tom Königs erinnerte an die Bemühungen seiner Partei um den Doppelpass. In Hessen habe man deswegen sogar eine Wahl verloren, sagte Königs. Wolfgang Greilich vertrat die Ansicht, dass das Wahlrecht integraler Bestandteil der Staatsbürgerschaft sei.
Gießener Allgemeine Zeitung, 3. September 2009