Landkreis Gießen, den 17.12.2009
Pressebericht
Das Mittelmeer als Grab der Flüchtlinge
Werden an den EU-Außengrenzen mit deutscher Unterstützung Menschenrechte verletzt?
Der Frage, ob die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX im Einklang mit den Menschenrechten handelt, versuchte der Kreisausländerbeirat am 11. Dezember, einem Tag nach dem internationalen Tag der Menschenrechte, in den Räumen der Kreisverwaltung zusammen mit einem interessierten Publikum, in dem Menschenrechtsaktivisten, PolitikerInnen und Kirchenvertreter saßen, nachzugehen. Zu diesem Zweck hatte der Ausländerbeirat die Referentinnen Halise Adsan und Eiken Prinz, beide Mitglieder des Ausländerbeirates der Stadt Marburg, eingeladen. Beide studieren Erziehungswissenschaften mit interkulturellen Themenschwerpunkten sowie Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Marburg und haben zur Arbeit der wenig bekannten Organisation FRONTEX recherchiert und ihre ersten Ergebnisse in einer Präsentation zusammengestellt, die sie auch bereits bei der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Wiesbaden vorgestellt hatten.Die Agentur FRONTEX wurde im Jahr 2004 durch den Europarat gegründet mit dem Ziel des integrierten Grenzschutzes an den EU-Außengrenzen. Diese „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“ hat ihren Sitz in Warschau. Im Mittelpunkt des Vortrags stand der Umgang mit den Flüchtlingen, die versuchen mit Booten über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, den sogenannten Boat People. Die Referentinnen erwähnten aber auch, dass das stetig steigende Budget der Agentur (von 6,2 Mill. Euro im Jahr 2005 auf über 80 Mill. Euro im Jahr 2009) in Zukunft verstärkt für die Abwehr von Einreisenden an den EU-Ostgrenzen eingesetzt werden soll. Auch werde derzeit an der Entwicklung eines Satteliten-Systems zur besseren Überwachung der Grenz- und Küstenregionen gearbeitet. Das Personal der FRONTEX setzt sich hauptsächlich aus dem Grenzschutzpersonal der verschiedenen EU-Staaten zusammen, auch die materielle Ausstattung in Form von Hubschraubern, Schiffen usw., inklusive Bedienungspersonal, wird von den Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt. Deutschland leistet hierzu einen erheblichen Beitrag. Der Begriff „Flüchtling“ tauche im Sprachgebrauch der Agentur kaum auf, so die beiden Referentinnen, vielmehr werde mit Begriffen wie „Illegale“ bzw. „Migranten“ die Tatsache verschleiert, dass es sich meist um Asylsuchende handelt, die laut UN-Menschenrechtskonvention ein Recht auf eine gründliche Prüfung ihrer Schutzbedürftigkeit hätten (Artikel 14(1) „Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“). Stattdessen sei das Ergebnis der Arbeit der FRONTEX, die auch zur Aufgabe hat, die EU-Mitgliedsstaaten und die Transit- und Herkunftsländer zu beraten, eine steigende Zahl von Toten im Mittelmeerraum durch verlängerte Fluchtrouten, so Eiken Prinz. Zeugen hätten zudem über von einem Abdrängen der Flüchtlings-Boote und von unzulässigen „Blitzverfahren“ zur Feststellung der Asylbedürftigkeit auf den Decks der FRONTEX-Schiffe berichtet. Halise Adsan sagte, dass bis zu 120 000 Schutzsuchende ohne Papiere jedes Jahr das Mittelmeer überqueren – dabei könne von einer noch viel höheren Dunkelziffer ausgegangen werden.Alle Anwesenden beklagten die fehlende Transparenz im Zusammenhang mit der FRONTEX, die den nationalen Parlamenten nicht informationspflichtig ist. Der Kreisausländerbeirat und die im Publikum anwesende Giessener SPD-Stadtverordnete Inge Bietz nahmen sich vor, einheimische Politiker mit Mandat im EU-Parlament und im Bundestag auf das Problem anzusprechen. Der Grünen-Kreistagsabgeordnete Bernd Kaufmann lies vom Bundestagsabgeordneten Tom Koenigs ausrichten, dass dieser sich als Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Bundestages schwerpunktmäßig mit der Flüchtlingsproblematik im Mittelmeerraum befasse und u.a. eine Reise zusammen mit weiteren Parlamentariern zur Insel Lesbos plane. Aus dem Publikum wurde auch die Forderung laut, Menschenrechtsbeobachter in die Arbeit der FRONTEX einzuschalten. Im Anschluss an den Vortrag stellten Udo Altmann (amnesty international) und Gabriel Brand die Kampagene „Save me – eine Stadt sagt ja“ vor, die mittlerweile in vielen deutschen Städten, so auch in Gießen, läuft. Gemeinsam mit UNHCR fordern gesellschaftliche Organisationen wie Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Rechtsanwalts-, Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen und Pro Asyl die Einrichtung eines Resettlementprogramms in Deutschland nach dem Vorbild von USA, Kanada, Schweden, Norwegen u.a., die regelmäßig eine bestimmte Anzahl an Flüchtlingen aus den Erstaufnahmestaaten herausholen und sie dauerhaft aufnehmen. Vor Ort konnten am selben Abend gleich vier neue Patenschaften für das Projekt aus dem Publikum rekrutiert werden. Damit hat Save me Gießen bereits 75 Patinnen und Paten, d.h. Menschen, die die Idee zunächst symbolisch unterstützen und sich für die Aufnahme von Flüchtlingen in Gießen aussprechen. (www.save-me-giessen.de).
Für den Bericht:
Der Vorstand des Ausländerbeirates des Landkreises Gießen