Kreis-Ausländerbeirat »Hochburg in Hessen«
Gießen/Pohlheim (hin). »Die Arbeit im Ausländerbeirat ist spannend und sie lohnt sich.« Diese Einschätzung äußerten die in diesem Gremium vertretenen Mitglieder. Die Arbeitist aber auch eine Gratwanderung zwischen freudigen Erlebnissen und der Erfahrung, dass sich Menschen, denen man helfen will, in schier ausweglosen Situationen befinden.
Am 7. November werden die Ausländerbeiräte in Hessen neu gewählt. Bei der Sitzung des Kreis-Ausländerbeirats am Dienstag im Schulsaal der Volkshalle Watzenborn-Steinberg standen deshalb Reflektionen über die Tätigkeit des Gremiums auf der Tagesordnung. Corrado di Benedetto, Vorsitzender des Landes-Ausländerbeirats (Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Hessen / AGAH), appellierte an die Anwesenden, sich für eine hohe Wahlbeteiligung einzusetzen. Nur mit entsprechender Legitimation könne man sich so nachdrücklich für die Belange der Ausländer einsetzen, wie es nötig sei, betonte der Gast aus Mühlheim am Main.
Am Beispiel der Stadt Offenbach mit ihrem sehr hohen Anteil an Einwohnern mit Migrationshintergrund verdeutlichte Benedetto den unumkehrbaren Zuwanderungsprozess. Menschen aus rund 150 Nationen seien Teil dieser Gesellschaft geworden und müssten sich miteinander arrangieren. Er verwahrte sich gegen die Sichtweise, als Mehrheitsgesellschaft »den armen Ausländern helfen zu müssen«. Die Zukunft könne nur gelingen, wenn man miteinander auf Augenhöhe verkehre.
Es sei Verdienst der Ausländerbeiräte, dass Themen der Menschen mit Migrationshintergrund auf die Agenda der politischen Gremien gehoben worden seien. Ziel sei jetzt, die Arbeit auf einer institutionalisierten Ebene zu verankern. »Integration darf nicht dem Zufall überlassen bleiben.« Benedetto beklagte das fehlende Kommunalwahlrecht für Menschen mit ausländischem Pass. Es sei ein Hohn, wenn in einer Stadt wie Offenbach einem Großteil der Bevölkerung die politische Teilhabe verwehrt bleibe. Den Kreis-Ausländerbeirat Gießen bezeichnete der Gast als »Hochburg unter den Beiräten«.
Vorsitzende Françoise Hönle aus Lich nahm den Weltfrauentag zum Anlass, um an drei Frauen in besonderer Weise zu erinnern: eine Kurdin, die trotz Blindheit »klarer sieht als viele Sehende«, eine Afghanin, die sich für gemeinsamen Schulunterricht von Jungen und Mädchen in ihrer Heimat einsetzt, und eine Finnin, die Kinder verschiedener Nationen in einem Gartenprojekt zusammenführt. Hönle erinnerte auch an die vielen Frauen, die überall im Gießener Land täglich für ihre Familien sorgen, die über wenig Geld verfügen, gleichwohl in der Küche Wunder wirken und ihre Gäste stets großzügig bewirten. Mit Sorge betrachtete Hönle die verstärkten Aktivitäten Rechtsradikaler in der Region. Beunruhigender Höhepunkt sei bisher ein nächtlicher Brandanschlag gegen das Wohnhaus eines Flüchtlingshelfers gewesen.
Bürgermeister Karl-Heinz Schäfer erinnerte in einem Grußwort an das im Vergleich zu anderen Teilen der Welt als selbstverständlich erachtete Wahlrecht, auch wenn es von vielen nicht wahrgenommen werde. Schäfer riet, im Zuge der Integration über Begrifflichkeiten neu nachzudenken. Gerhard Merz, integrationspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, hob hervor, dass »das zarte Pflänzchen Integration« inzwischen Partei übergreifendes Thema geworden sei. »Auf Landkreisebene erhält die Integrationspolitk derzeit einen Schub, indem zum Beispiel die Ausländerbeiratswahlen Unterstützung vom Kreisausschuss erfahren.«
Wortmeldungen aus dem Plenum zeigten die Bandbreite der Themen, mit denen die Ausländerbeiräte sich beschäftigen. Dies reichte von der mangelnden Anerkennung ausländischer Schul- oder Studienabschlüsse bis hin zur Frage der Mehr-Ehe. Der Holländer Tim van Slobbe und die Portugiesin Maria Alves bekundeten, als »priviligierte Ausländer« erst durch den Ausländerbeirat Kontakt zu Menschen mit Migrationshintergrund bekommen zu haben.
© Gießener Allgemeine Zeitung 12.03.2010 - www.giessener-allgemeine.de