Wenn die Illusion der Rückkehr schwindet
Migrantinnen diskutierten über Probleme des Älterwerdens in der Fremde – Selbsthilfe gruppe
Kreis Giessen (atb). Wenn jemand mit einer psychosomatischen Krankheit zu mir kommt, dann frage ich: „Wer trägt eine schwere Last“, berichtete die Expertin für Psychosomatik und Migrantenmedizin Dr. Secil Akinci während der Veranstaltung „(Alb-)Traum Lebensabend? Älterwerden in der Fremde“ im Netanya-Saal des Alten Schlosses in Gießen.
Sowohl bei deutschen als auch türkischen Frauen sind Depressionen und Angststörungen am verbreitetsten, sagte die Referentin. Weitere Themen der Betroffenen sind demnach sogenannte „Co-Morbiditäten“, dies können Wirbelsäulen- oder Blutdruckprobleme sein. Andere Hürden sind Verständigungsschwierigkeiten, geringe Bildung und dadurch höhere Arbeitslosigkeit, Verluste oder Trennungen.
Über das „Älterwerden in der Fremde“ sprach auch Isabel de Jèsus-Domicke. Sie berichtete vom Gefühl, fremd zu sein und lieferte Daten aus Untersuchungen. Nur eine knappe Mehrheit an Migratinnen lebe noch in Mehrgenerationenhaushalten. Diese seien, trotz möglicher familiärer Streitigkeiten und beengter Wohnverhältnisse, überwiegend zufrieden. Migrantinnen, die in Einpersonenhaushalten leben, seien dagegen überwiegend unzufrieden.
Silvia Ernst-Tijero sagte in ihrem Beitrag, es gebe nur mangelnde oder unklare Informationen über Hilfsangebote, Dienste und Einrichtungen. Viele Migrantinnen setzten sich zudem mit dem Älterwerden nicht auseinander, die Illusion der Rückkehr sei weg. Rituale, Religion und Gewohnheit ließen sich mit der Realität des Alters in einem fremden Land schlecht in Einklang bringen. Sie persönlich sei der Meinung, dass es dringend sei, in Gießen und im Landkreis Gießen die Versorgung, Begleitung und Betreuung für alternde Migrantinnen gezielt zu organisieren. Besondere Sorge mache der Bereich „Demenz“. Ernst-Tijero schlug eine Selbsthilfegruppe für Migrantinnen vor, die sich dem Thema Demenz alternder Migrantinnen widmet.
Veranstalter war der Arbeitskreis „Migrantinnen“ des Ausländerbeirates des Landkreises Gießen. Es moderierte Markèta Roska, Geschäftsführerin des Ausländerbeirates. Unter den rund 20 und vorwiegend weiblichen Teilnehmern verschiedener Herkunftsländer waren Vertreter verschiedener Institutionen wie „Katholische Frauen“ und „Demenzfreundliche Kommune“ vertreten.
Gießener Anzeiger, 19.03.2013