Kritischer Blick zu Unterkunftskosten
RICHTLINIEN Kreisausländerbeirat stellt Absenkungsbescheid für viele der 12.870 Leistungsbezieher infrage / „Jeder Einzelfall wird geprüft“
KREIS GIESSEN (w). Seit Februar gibt es im Landkreis Gießen eine neue Richtlinie zur Gewährung angemessener Unterkunftskosten für Sozialleistungsempfänger. Das birgt gerade für Migranten Probleme, mit denen sich eine Expertenrunde im Ausländerbeirat am Dienstag auseinandersetzte. Die Richtlinie orientiert sich an einer statistischen Erhebung der Mieten im Landkreis Gießen, die von der Hamburger Unternehmensberatung „Analyse und Konzepte GmbH“ erstellt wurde und dazu führte, dass nunmehr wesentlich geringere Mieten als „angemessen“ angesehen würden. Daraus resultieren Kostenabsenkungsbescheide für viele der 12.870 Leistungsbezieher im Landkreis, hieß es im Ausländerbeirat.
Die Anpassung der Richtwerte sei zwingend notwendig gewesen, erläuterte Marita Seibert, Leiterin des Fachdienstes Soziales und Senioren des Landkreises. Die bisherige Bemessung von bis zu zehn Prozent über dem gültigen Wohngeld galt als „nicht schlüssig“. Weil die Erhebungen der Hamburger Unternehmensberatung durch Urteile von Sozialgerichten in ihrer Methodik bestätigt wurden, erteilte auch der Landkreis Gießen seinen Auftrag, dessen Ergebnisse für zwei Jahre gültig seien. Nun müsse seitens der Politik entschieden werden, ob nach dieser Zeit eine erneute Analyse oder ein Anpassung aufgrund der Teuerung folgen werde. Die neuen Richtwerte seien niedriger als bisher doch würde jeder Einzelfall geprüft, ob die Miete „angemessen“ oder ob die Forderung nach einem Umzug zumutbar sei. Dies geschehe bei jeder Neuprüfung im Rhythmus von sechs Monaten im Jobcenter oder jährlich in Fällen der Grundsicherung.
Gerade Migranten arbeiteten im Niedriglohnsektor und seien deshalb auf Sozialwohnungen angewiesen, betonte Françoise Hönle vom Kreisausländerbeirat. Auch sei es für diese besonders schwierig, eine Wohnung zu finden. Eindringlich forderte Angelika Linke vom Arbeitskreis Soziale Sicherung sofort auf eintreffende Schreiben zu reagieren und Kontakt mit dem zuständigen Sachbearbeiter oder einer Beratungsstelle aufzunehmen. Nur so könne eine nochmalige Zumutbarkeitsprüfung erreicht werden.
Flüchtlingspfarrer Hermann Wilhelmy betonte, dass sich Asylbewerber und Flüchtlingsfamilien sowohl der Integration, dem eigenen kulturellen Sozialgefüge als auch der Wohnraumproblematik stellen müssten. Denn auch sie strömten auf den sehr engen Markt der preiswerten Wohnungen. Deutlich kritisierte Rechtsanwalt Martin Kaulbach, Rechtsberater beim Mietverein Gießen, dass lediglich 80 Angebotsmieten und 75 Neuverträge aus rund 14.000 Miet- und Betriebskostenwerten Eingang in die Erhebungen der Unternehmensberatung gefunden hätten. Auch seien extrem wenig preiswerte Wohnungen verfügbar, was geforderte Umzüge weiterhin erschwere. Reinhard Hamel aus der Kreistagsfraktion der Linken stellte zudem die Ergebnisse der Studie insgesamt infrage, weil die verarbeiteten Zahlen zu alt sowie nicht preisbereinigt seien. Er forderte eine erneute Datenerhebung.
Gießener Anzeiger, 13.06.2013