„Wir möchten den Flüchtlingen helfen“
Kreisausländerbeirat Zwei Referenten berichten über die Situation in Syrien /Auf eigene Kosten als Helfer im Einsatz
Kreis Gießen Mit einer Revolution in Tunesien begann 2012 der „Arabische Frühling“, ein Freiheitskampf zahlreicher Völker, der sich binnen weniger Monate fast auf die gesamte arabische Welt ausbreitete. Diktatoren wurden ihrer Macht enthoben, totalitäre Regime entmachtet, Reformen eingeleitet. In einigen Ländern führten die Umstürze zu Bürgerkriegen oder Kriegen der Machthaber gegen das eigene Volk. Mit am schlimmsten hat es die Menschen in Syrien getroffen. Seit fast zweieinhalb Jahren dauert der Krieg im Land dort nun an, Millionen Menschen sind auf der Flucht.
„Diese Flüchtlinge kommen nach Deutschland und wir möchten ihnen helfen“, erklärte Tim van Slobbe, Vorsitzender des Kreisausländerbeirates Gießen. In seiner aktuellen Sitzung hatte der Ausländerbeirat deshalb zwei Referenten eingeladen, die zu der aktuellen Lage in Syrien berichteten. „Der Ausländerbeirat sieht sich zur Neutralität verpflichtet“, betonte van Slobbe. Informationen ohne Wertung der Schuld seien daher das Kernanliegen. Younes Qrirou stammt aus Marokko, ist Sozialwissenschaftler und Mitglied des Kreisausländerbeirates. In einem Impulsreferat stellte er die Hintergründe dar, die zur derzeitigen Situation in Syrien geführt haben. Das Land war bereits nach 1946 von Unruhen geprägt. 1970 kam Hazif al-Assad nach einem Putsch an die Macht, diese übernahm 30 Jahre später, nach seinem Tod, sein Sohn Baschar – Vergleichbar mit einer Erbmonarchie“, so Qriou. Baschar galt als liberal, nahm erste zaghafte Reformen aber bald wieder zurück.
Bereits 1982 gab es in der Region um Hama einen Aufstand, der relativ unbekannt blieb, obwohl das Assad-Regime ihn blutig niederschlug. Nach Beginn der Proteste 2011 setzte Baschar al-Assad die Armee gegen das eigene Volk ein. Da einige Offiziere sich weigerten, kam es zur Spaltung der Armee. Nicht zuletzt durch Einflussnahme aus dem Ausland sei der Konflikt noch verschärft worden. Zahlreiche Gruppen kämpfen nun gegeneinander.
Besonders makaber sei das Verhalten Saudi-Arabiens, eines der schlimmsten Unterdrückerregimes überhaupt, das radikale gewalttätige Gruppierungen unterstütze, dabei aber von „demokratischen Zielen“ spreche.
Die traurige Bilanz des Krieges in Syrien: Bisher 110 000 Tore – nach offiziellen Angaben – und sieben Millionen Menschen auf der Flucht, davon fünf Millionen im eigenen Land.
Samer Aboutra kennt die Folgen des Krieges in Syrien nur zu gut. Als der Sohn einer ihm bekannten Familie gefoltert und getötet wurde, fasste er einen Entschluss. „Wenn man etwas ändern will, dann muss man auch selber etwas tun“, bekräftigte der gebürtige Syrer, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt. Er ergriff die Initiative, klärte auf, hielt Vorträge, sprach Menschen gezielt an – und hatte Erfolg: Im Frühjahr 2012 reiste er erstmals mit einem Helferteam in die Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen Grenze. Zehn Ärzte begleiteten ihn.
Für ein halbes Jahr reisten sie an jedem Wochenende in die Lager, flogen Sonntagsabend mit dem letzten Flieger zurück, um für eine Woche ihr normales Leben zu leben – bevor es freitags schließlich wieder ins Krisengebiet ging. „Alle haben mich unterstütz, meine Familie, auch mein Arbeitgeber“, freut er sich.
Mittlerweile ist das Team auf 25 Ärzte und verschiedene andere Helfer angewachsen. Alle arbeiten ehrenamtlich und bezahlen sogar ihre Flüge selbst.
Einhellig unterstützen die Mitglieder des Ausländerbeirats Aboutaras Forderung, mit weniger Bürokratie zu helfen. Ein erster Schritt könnte es sein, Angehörige in Deutschland zu erleichtern, ihre Verwandtschaft aufzunehmen. Dies würde Deutschland im Endeffekt sogar Geld sparen, wenn diese Menschen nicht als Asylanten finanziert werden müssten, denn viele Verwandte seien gerne bereit, ihre Familienmitglieder selbst zu versorgen.
Gießener Anzeiger 13.11.2013