Rechtsextremismus nimmt im Alter zu
DISKUSSION Kreisausländerbeirat beschäftigte sich in Allendorf/Ld. mit Studie über Landkreis
Kreis Gießen (dge). „Eine Demokratie misst man auch daran, wie sie ihre Minderheiten behandelt.“ Francoise Hönle vom Vorstand des Kreisausländerbeirates gab dies in der jüngsten Sitzung des Gremiums in der Aula der Gesamtschule Lumdatal zu bedenken. Es sei Aufgabe des Ausländerbeirats, daran zu erinnern. Diskutiert wurde in erster Linie der Tagesordnungspunkt Was tun? Konsequenzen aus der Erhebung „Rechte Einstellungen und rechte Strukturen im Landkreis Gießen“. Tim van Slobbe, Vorsitzender des Kreisausländerbeirats, begrüßte neben den rund 35 Anwesenden und Dirk Haas (Migrationsbeauftragter des Landkreises) insbesondere Yvonne Weyrauch (Arbeitsstelle Gender Studies der Uni Gießen), die an der Studie des Kreises mitgearbeitet hat. Sie stellte zunächst die Strategien und Handlungsempfehlungen für den Landkreis vor, die Weyrauch gemeinsam mit Wiebke Dierkes (Jugendförderung) als Fazit der Studie zusammengestellt hatte.
Ein erster Schritt sei, den Begriff des Rechtsextremismus zu überdenken. Man solle ihn differenzieren in seine ideologischen Bestandteile wie etwa Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Obdachlosenfeindlichkeit und Langzeitarbeitslosenfeindlichkeit. Schon 2002 hätte eine Studie gezeigt, dass es Aktivitäten der rechten Szene im Landkreis gegeben habe. Die Kommunen, so die Empfehlung, sollten ihre politische Kultur kritisch reflektieren. Programme und Projekte, die sich gegen eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit richten, sollten überprüft werden.
Die Studie habe gezeigt, dass es sich hier keineswegs nur um ein „Jugendproblem“ handele. Vielmehr stiegen die Zustimmungswerte zu rassistischen, fremdenfeindlichen oder obdachlosenfeindlichen Aussagen mit zunehmendem Alter. Auch die Inhalte der präventiv-pädagogischen Praxis sollten überprüft werden. Hier will man die Aspekte Demokratie und Menschenrechte in den Mittelpunkt gerückt sehen. Vermisst wurde im Raum Gießen eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Angriffe. Weiter wurde angemahnt, dass gerade in ländlichen Strukturen eine „Hilfe von außen“ als Bedrohung des Status Quo angesehen werden könne. Vielmehr solle man auf eine Vertrauensbasis setzen, die durch eine stetige Arbeit vor Ort gewährleistet werde. Angedacht war ein so genanntes Monitoring, um rechte Aktivtäten kontinuierlich zu dokumentieren. Dabei soll ein Fokus auf die Menschen gelegt werden, die unter Bedrohungen und Angriffen rechter Aktivisten zu leiden haben.
Aus dem Plenum herauszuhören war, dass man ein Demokratieverständnis als solches vermisste. Die Teilnehmer sahen das Ganze als gesellschaftliches Problem. Kinder und Jugendliche lebten aus, was Erwachsene vorlebten. Tim van Slobbe konstatierte, es sei schwer, ein Fazit zu ziehen.
Die Diskussion zeigte auch, wie schwierig es sein wird, die aus der Studie hervorgehenden Empfehlungen tatsächlich umzusetzen. Yvonne Weyrauch mahnte die Bereitschaft, bei sich selbst anzufangen und dies im Alltag umzusetzen, an.
Gießener Anzeiger, 20.02.2014