„Zwangsheirat kein Frauenthema“
VORTRAG Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates sieht Aufklärung als vorrangigste Arbeit für veränderte Strukturen
Kreis Giessen (cz). „Das Thema Zwangsverheiratung ist kein Frauenthema, das geht alle an, denn Männer würden genauso zwangsverheiratet wie Frauen“, stellte die engagierte Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates in der Gesprächsrunde zum Thema „Eheschließung im Wandel der Zeit – Mit wem wird mein Kind zusammenleben?“ fest. Rund 40 interessierte, meist weibliche Zuhörer waren zu der Veranstaltung gekommen, die vom Arbeitskreis Migrantinnen des Kreisausländerbeirats und des Kreisfrauenbüros veranstaltet wurde.
Mit der Aufarbeitung des sensiblen Themas wolle man keinesfalls die Ausländerfeindlichkeit schüren, vielmehr wolle man aufklären und den Betroffenen Hilfestellung geben, erläuterte Ates. Dank des Hineintragens dieses Themas in die Öffentlichkeit durch Frauenrechtlerinnen und engagierte Frauen gäbe es seit 2011 den Straftatbestand der Zwangsheirat im Bürgerlichen Gesetzbuch. Darauf sei sie ein wenig stolz, berichtete sie, auch wenn sich andere dies jetzt auf ihre Fahnen schreiben würden.
Bei einer Zwangsheirat würden andere darüber bestimmen, wer wen wann heiraten würde. Dies sei grundsätzlich ein Unterschied zu arrangierten Ehen. Beide, Mann und Frau, würden oft von ihrem sozialen Umfeld in die Ehe gedrängt, bevor sie überhaupt eine Chance erhielten, sich lieben zu lernen. Genau dies führe zu Problemen. „Die Eltern wollen nichts schlechtes für ihre Kinder. Sie glauben, dass dies gut für sie sei.“ Daher sei die Aufklärung der Eltern wichtig, damit sie die Lebensentscheidungen ihrer Kinder akzeptieren lernen. „Denn bei einer Scheidung habe sie es nicht nur mit zwei Personen zu tun als Anwältin, sondern mit einem ganzen Clan.“, berichtete sie. In diesen patriarchalen Strukturen sei das „Wir-Gefühl“ des Clans entscheidender als die „Ich-Bestimmtheit“ einer Einzelnen. „Ich habe Frauen erlebt, die noch nie alleine in einem Zimmer waren, geschweige denn, dass sie einmal alleine einkaufen waren.“ Wenn eine solche Frau sich von ihrem Mann trennen will, so muss sie sich gegen sämtliche Strukturen wenden, dies bedeute sehr viel Kraft und Mut. „Manche schaffen dies nicht. Ich musste lernen, auch dies zu akzeptieren“, sagte Ates. Daher sieht sie Aufklärung als vorrangigste Arbeit, nur so könnten sich diese Strukturen ändern.
ZUR PERSON
Seyran Ates ist Rechtsanwältin und Buchautorin aus Berlin und wurde unter anderem durch ihr Buch „Der Multi-Kulti-Irrtum“ bekannt. Nach tätlichen Angriffen und Morddrohungen hatte sie jahrelang keine eigene Kanzlei und teilweise gar nicht als Juristin gearbeitet. Sei wirkt in mehreren Kommissionen auf Landes- und Bundes-Ebene zum Thema „Integration“ und „Selbstbestimmung“ von Frauen mit.
Quelle: Gießener Anzeiger, 18.03.2014