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30 Jahre Krieg - das Leben hat alle Farben verloren "Berliner Compagnie" erntet mit Polit-Stück "Die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch" begeisterten Beifall | |
GIESSEN (sts). Wird Deutschland am Hindukusch verteidigt? Aus einem kleinen Kreuzberger Hinterhoftheater bringt die Theatergruppe "Berliner Compagnie" dem Gießener Publikum ihre kritische Sicht der Dinge nahe. Die Aufführung zum Antikriegstag in der Uni-Aula wurde begeistert aufgenommen. Zunächst eine Familienszene im Afghanistan der 70er Jahre: Die noch minderjährige Tochter Aziza (Natascha Menzel) hat sich in den Jungen Yasid verliebt. Dem steht allerdings die von ihrem Vater (H.G. Fries) arrangierte Ehe mit einem viele Jahre älteren Mann entgegen. Kurzzeitige Hilfe erhält Aziza von der islamische Frauenrechtlerin Meena (Elke Schuster), die ihr erklärt, dass sie nach einem neuen Beschluss im Familienrecht noch zu jung für eine Ehe sei. Im Dokumentar-Stil zusammengeschnittener Nachrichtenfetzen lässt das Stück die letzten 30 Jahre des Krieges in Afghanistan Revue passieren. Trotz kleiner Besetzung mit nur fünf Schauspielern macht das Publikum im Lauf des Abends mit zahlreichen Charakteren Bekanntschaft. Wie verstrickt wir Deutschen in diesen Krieg sind, zeigen nicht nur die Zahlen der stationierten deutschen Truppen in Afghanistan. In den Figuren der Bundeswehrsoldaten Thomas Burg (Jean-Theo Jost) und Max Ritter (Wendt) spiegeln sich natürlich auch persönliche Schicksale wider. So berichtet einer der Soldaten aus seinem Heimaturlaub, dass er "in jedem Vorgarten ein Minenfeld vermutete" und mit niemandem über seine Unruhe reden konnte, "am wenigsten noch mit der eigenen Frau". Auf der afghanischen Seite wird indessen "viel gestorben". Die Jahre unter den Sowjets und später den USA ging nicht spurlos am Land vorüber. Viele Männer schlossen sich Widerstandsgruppen an, kämpften gegen die Besatzer und fielen. Die Frauen hingegen, durch die eigene Regierung zunehmend unterdrückt, kämpften mit sozialer Ungerechtigkeit und menschenunwürdigen Gesetzen bis hin zur Todesstrafe. "Das Leben hat jede Farbe für mich verloren", kommentiert eine junge Afghanin die Zeit in der Unterdrückung. Schließlich nimmt sich das letzte verbliebene Familienmitglied bei einem Selbstmordattentat auf eine ausländische Minenräumorganisation das Leben. Die Aufführung ist politisch briant und rasant gestaltet. Das karge Bühnenbild aus fünf Mikrofonen und einer Leiter ist in kürzester Zeit vom Schützengraben zum Wohnzimmer umgebaut, ebenso schnell wie durch Zwischenkommentare der Akteure der Szenenhintergrund stetig wechselt. Manche Passagen klingen wie Regieanweisungen klingen. Dies erweist sich als eine elegante Lösung, um den Zuschauer nicht mit allzu hektischen Szenenwechseln zu verwirren. Es ist eine lobenswerte Leistung der Truppe, diesen Einakter mit all seinen Verflechtungen und Rollenwechseln so kompromisslos professionell herübergebracht zu haben. Nach der Vorstellung fand sich ein Teil des Publikums zu einer Diskussion zum Thema im Foyer der Uni-Aula zusammen, wo vor und nach der Vorstellung Najma Omar-Olomi einen Infostand über ihr Projekt "Bildung für Kinder aus Afghanistan" betrieb. Die Organisation baute in den Vergangenen Jahren eine Schule nahe Kabul und setzt sich für Bildung und Menschenrechte im Iran ein. |
Kreisausländerbeirat Gießen
Gießener Anzeiger 5.9.09 (Theateraufführung der Berliner Compagnie)
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